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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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genau!«
      »Ja.«
      »Dann weißt du auch, was es bedeutet, wenn du ’rüberfährst!«
      »Ja.«
      »Daß du wahrscheinlich verloren bist.«
      »Ich bin auch verloren, wenn sie stirbt.«
      »Das ist nicht wahr!« Marill war plötzlich maßlos wütend. »Es
    klingt roh, was ich dir rate, Steiner, schreibe ihr, telegrafiere ihr, aber bleibe hier.«
      Steiner schüttelte abwesend den Kopf. Er hatte kaum zugehört.
      Marill packte ihn an der Schulter. »Du kannst ihr nicht helfen. Auch nicht, wenn du hinfährst.«
      »Ich kann sie sehen.«
      »Aber Mensch, sie wird entsetzt sein, wenn du kommst! Wenn du sie fragen würdest, jetzt, sie würde alles tun, damit du hierbleibst.«
      Steiner hatte auf die Straße gestarrt, ohne etwas zu sehen. Jetzt wandte er sich rasch um. »Marill«, sagte er, und seine Augen flatterten, »noch ist sie alles, was es gibt für mich, sie lebt, sie atmet noch, ihre Augen sind noch da und ihre Gedanken, ich bin noch da hinter ihren Augen – und sie wird tot sein in ein paar Tagen, nichts mehr wird von ihr dasein, sie wird daliegen und es nicht mehr sein, ein zerfallender, fremder Kadaver – aber jetzt, jetzt ist sie doch noch da, sie ist noch da, ein paar Tage noch, die letzten Tage, und ich soll nicht bei ihr sein, begreife doch, daß ich fahren muß, es geht gar nicht anders, verdammt, die Welt geht zugrunde, wenn ich nicht komme, ich zerbreche einfach, ich sterbe mit!«
      »Du stirbst nicht mit. Komm, telegrafiere ihr, nimm mein Geld zu deinem, nimm das von Kern dazu und telegrafiere ihr jede Stunde, ganze Seiten, Briefe, alles – aber bleib hier!«
      »Es ist nicht gefährlich, wenn ich fahre. Ich habe den Paß, ich komme wieder zurück damit.«
      »Quatsch mir nichts vor! Du weißt, daß es gefährlich ist! Sie haben drüben eine verdammt gute Organisation.«
      »Ich fahre«, sagte Steiner.
      Marill versuchte ihn am Arm zu fassen und mitzuziehen.
      »Komm, wir saufen ein paar Flaschen Schnaps! Besauf dich!
    Ich verspreche dir, daß ich alle paar Stunden telefonieren werde.«
      Steiner schüttelte ihn ab wie ein Kind. »Laß das, Marill. Es sitzt anderswo. Ich weiß, was du meinst. Ich verstehe es auch, ich bin nicht verrückt. Ich weiß, was auf dem Spiele steht, aber auch wenn es tausendmal mehr wäre, würde ich fahren, und nichts könnte mich daran hindern. Verstehst du das denn nicht?«
      »Ja«, brüllte Marill. »Natürlich verstehe ich es! Ich würde ja selbst auch fahren!«

    STEINER PACKTE SEINE Sachen. Er war wie ein vereister Strom, der aufgebrochen ist. Er konnte kaum begreifen, daß er mit jemand telefoniert hatte, der im gleichen Hause wie Marie gewesen war; es erschien ihm fast unfaßlich, daß seine eigene Stimme so dicht in ihrer Nähe im schwarzen Kautschuk einer Hörmuschel gesummt hatte; alles erschien ihm unvorstellbar – daß er packte, daß er einen Zug besteigen würde und daß er morgen da sein konnte, wo sie war.
      Er warf den Rest der wenigen Dinge, die er brauchte, in den Koffer und schloß ihn zu. Dann ging er zu Ruth und Kern hinüber. Sie hatten alles schon von Marill gehört und erwarteten ihn verstört.
      »Kinder«, sagte er, »ich gehe jetzt weg. Es hat lange gedauert, aber ich wußte eigentlich immer, daß es so kommen würde. Nicht ganz so«, fügte er hinzu. »Aber das glaube ich auch noch nicht. Ich weiß es nur.«
      Er lächelte verstört und traurig. »Leben Sie wohl, Ruth.«
      Ruth gab ihm die Hand. Sie weinte. »Ich wollte Ihnen so vieles sagen, Steiner. Aber jetzt weiß ich nichts mehr. Ich bin nur noch traurig. Wollen Sie das mitnehmen?« Sie hielt ihm den schwarzen Pullover hin. »Er ist gerade heute fertig geworden.«
    Steiner lächelte und war einen Augenblick wieder wie früher.
      »Das hat gerade geklappt«, sagte er. Dann wandte er sich an Kern. »Leb wohl, Baby. Manchmal geht alles furchtbar langsam, was? Und manchmal verdammt schnell.«
      »Ich weiß nicht, ob ich ohne dich noch da wäre, Steiner«, sagte Kern.
      »Bestimmt. Aber es ist schön, daß du mir das sagst. Dann war die Zeit doch nicht ganz umsonst.«
      »Kommen Sie wieder!« sagte Ruth. »Mehr kann ich nicht sagen. Kommen Sie wieder. Wir können wenig für Sie tun; aber alles, alles was wir sind, ist für Sie da. Immer.«
      »Gut. Ich will sehen. Lebt wohl, Kinder. Haltet die Ohren steif.«
      »Laß uns mit zum Bahnhof gehen«, sagte Kern.
      Steiner zögerte. »Marill geht mit. Oder

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