Liebe deinen nächsten
verstößt, die deutschen Belange
geschädigt haben …
Bei der Einleitung des Aberkennungsverfahrens … kann
ihr Vermögen beschlagnahmt, nach Aberkennung der deut
schen Staatsangehörigkeit als dem Reiche verfallen erklärt
werden … Die Aberkennung der Staatsangehörigkeit wird
mit der Verkündung der Entscheidung im Reichsanzeiger
wirksam. 7
Nach dem Gesetz »trif der Reichsminister des Inneren im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Äußeren in der Regel nach Anhörung der Regierungen der beteiligten Länder« die Entscheidung. Daher finden sich Akten zur Ausbürgerung Remarques im Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn. Dort heißt es in einer Begründung des Ausbürgerungsbegehrens durch die Geheime Staatspolizei vom 2. März 938 über Remarques Bücher Im Westen nichts Neues und Der Weg zurück:
Beide Erzeugnisse zeichnen sich durch eine besonders nied
rige und undeutsche Auffassung vom Sinn des Krieges aus.
Deutsches Soldaten- und Heldentum wird in diesen Mach
werken in nicht wiederzugebender Weise in den Schmutz
gezogen… Erich Remark hat mit Unterstützung durch
die jüdische Ullstein-Presse jahrelang in gemeinster und
niederträchtigster Weise das Andenken an die Gefallenen
des Weltkriegs beschimpf und sich schon dadurch aus der
Deutschen Volksgemeinschaf ausgeschlossen.
Weiterhin heißt es über Remarques Leben in der Schweiz:
Mit dem auf diese Weise erworbenen Geld kaufe er sich eine
Villa in der Schweiz. In Porto Ronco bei Locarno unterhielt er
bis in die letzte Zeit einen regen Verkehr, der sich ausschließ
lich auf Emigranten, Juden und Kommunisten beschränkte.
Zwar ist Remark schrifstellerisch in der letzten Zeit nicht
mehr hervorgetreten; trotzdem ist bei der aus seinen Büchern
sprechenden Einstellung mit Sicherheit anzunehmen, daß er
weiterhin im deutschfeindlichen Sinne tätig ist. Sein Umgang
beweist auch eindeutig, daß er noch genauso wie früher den
jüdisch-marxistischen Ideen der Zersetzung anhängt. 8
Ob die Regierung der Schweiz ›angehört‹ wurde, wie das Gesetz es vorschreibt, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Der Gestapo war zum Zeitpunkt des Berichts im März 938 offensichtlich entgangen, daß Remarques nächster Roman Drei Kameraden bereits 936/37 in dänischer Übersetzung erschienen war, der noch vor Ende 938 die deutschsprachige Exil-Ausgabe in Stockholm bei Bermann-Fischer folgte.
Die Antwort Remarques auf die Ausbürgerung ist sein erster Exilroman. Die Lektüre von Liebe Deinen Nächsten hätte die Gestapo in ihrer Ansicht zweifellos bestätigt, daß Remarque »weiterhin im deutschfeindlichen Sinne tätig ist«. Der Roman ist Remarques erste und entschiedene Kampfansage an das braune Unrechtsregime, darüber hinaus ist er ein zutiefst humanes Plädoyer für alle durch staatliche Willkür und Behördenbürokratie rechtlos gewordenen, in ihrer Menschenwürde und ihren unveräußerlichen Menschenrechten zutiefst getroffenen Exilanten, Asylanten, Flüchtlinge, Vertriebenen und Verfolgten, deren Zahl in diesem Jahrhundert bis in sein letztes Jahrzehnt unvorstellbare Größenordnungen erreicht hat.
Heute wiedergelesen, wird Liebe Deinen Nächsten für uns Deutsche zu einem engagierten und eindringlichen Aufruf zur Verteidigung des Asylrechts in unserer Verfassung gegen »die Trägheit des Herzens«, gegen selbstgerechte Wohlstandsmentalität, gegen Fremdenphobie und gegen neuen Nationalismus. So könnte man es mit Begriffen unserer Zeit ausdrücken. Es geht darum, die vielen, die auch heute wegsehen, nichts davon wissen wollen, ihre Gleichgültigkeit und ihr Desinteresse zur Schau tragen, daran zu erinnern, daß das Asylrecht zum Bestandteil der in unserem Grundgesetz geschützten Menschenrechte werden konnte und werden mußte aufgrund der Geschehnisse, wie sie in Liebe Deinen Nächsten und vergleichbarer Literatur geschildert sind.
III.
Ludwig Kern wird in Murten in der Schweiz verhafet und steht wegen illegalen Aufenthalts im Herbst 936 vor dem Richter des Bezirksgerichts. Er verteidigt sich mit dem Satz, der auch heute wieder die Situation von Füchtlingen und Asylsuchenden in der ganzen Welt treffend kennzeichnet:
Was sollen wir denn anderes machen, als gegen das Gesetz
verstoßen? (Liebe Deinen Nächsten, S. 209)
Der Richter ist »ein älterer, dicker Mann mit einem
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