Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
an.
      »Was heißt das?« fragte er.
      »Das heißt, daß er geschnappt worden ist. Wir hatten das so verabredet. Einer seiner Freunde sollte das Telegramm schicken. Es war vorauszusehen. Ich habe es ihm gleich gesagt. Und nun nehmen Sie endlich diese dreckigen Lappen!«
      Er schob das Geld zu Kern hinüber. »Es sind zweitausendzweihundertvierzig Francs«, erklärte er. »Und hier ist noch etwas!« Er holte seine Briefasche hervor und nahm zwei kleine Hefe heraus. »Das sind Fahrkarten von Bordeaux nach Mexiko. Mit der ›Tacoma‹. Portugiesischer Frachtdampfer. Für Sie und Ruth. Fährt am Achtzehnten. Wir haben sie gekauf von dem übrigen Geld. Dies hier ist der Rest. Visa sind schon besorgt. Liegen beim Flüchtlingskomitee.«
      Kern starrte die Hefe an. »Aber …«, sagte er völlig verständnislos.
      »Nichts aber!« unterbrach Marill ihn ärgerlich. »Machen Sie keine Schwierigkeiten, Kern! Hat Mühe genug gekostet, das alles! Verdammter Zufall! Kam vor drei Tagen heraus. Das Flüchtlingskomitee hat von der mexikanischen Regierung die Erlaubnis bekommen, hundertfünfzig Emigranten hinüberzuschicken. Voraussetzung, daß sie die Überfahrt bezahlen können. Eines der Wunder, die ab und zu passieren. Klassmann kam damit an. Wir haben sofort gebucht für Sie beide, bevor alles überzeichnet ist. Geld für die Reise war ja da, jetzt gerade. Na, und …«
      Er schwieg.
      »Yvonne, bringen Sie mir einen Kirsch«, sagte er dann zu der dicken Kellnerin aus dem Elsaß.
      Yvonne nickte und schaukelte mit wiegenden Hüfen zur Küche hinüber.
      »Bringen Sie zwei!« rief Marill ihr nach.
      Yvonne wandte sich um. »Hätte ich sowieso gemacht, Herr Marill«, erklärte sie.
      »Gut. Wenigstens eine verständige Seele.«
      Marill wandte sich wieder Kern zu. »Verstanden, inzwischen?« fragte er. »Etwas überraschend, das alles, ich gebe es zu. Wenn Sie die Fahrkarte und das Visum auf der Präfektur vorzeigen, bekommen Sie eine Aufenthaltserlaubnis für Frankreich bis zu dem Datum, an dem das Schiff ausfährt. Auch wenn Sie illegal eingereist sind. Das Flüchtlingskomitee hat das erreicht. Sie können morgen gleich hingehen. Es ist die einzige Möglichkeit für Sie, ’rauszukommen aus dem Dreck.«
      »Ja. Beim erstenmal einen Monat, beim zweitenmal sechs Monate Gefängnis.«
      »Sechs Monate, ja. Und irgendwann wird man immer zum zweitenmal geschnappt, todsicher!« Marill sah auf. Yvonne stand vor ihm und stellte ein Tablett mit zwei Gläsern auf den Tisch. Eines war ein normales Glas; das zweite ein Wasserglas, bis oben mit Kirschgeist gefüllt.
      »Das ist für Sie!« erklärte Yvonne grinsend und zeigte mit dem Daumen auf das Wasserglas. »Zum selben Preis!«
      »Danke! Sie sind ein vernünfiges Kind. Viel zu schade, um in einer Ehe zur unvermeidlichen Xanthippe zu werden. Oder zu einer braven Märtyrerin. Prost!«
      Marill trank auf einen Schluck das halbe Glas aus. »Prost, Kern!« sagte er. »Weshalb trinken Sie denn nicht?«
      Er stellte das Glas auf den Tisch und sah Kern zum erstenmal voll ins Gesicht. »Das fehlt noch«, sagte er dann, »daß Sie anfangen zu heulen! Mann, haben Sie denn gar keinen Anstand?«
      »Ich heule nicht!« erwiderte Kern. »Und wenn ich heule, so ist es scheißegal! Aber verdammt, all die Zeit habe ich gedacht, Steiner wäre wieder hier, wenn ich zurückkäme, und nun packen Sie mir da Geld hin und Fahrkarten, und ich bin gerettet, weil er verloren ist, das ist doch eine verfluchte Schweinerei, verstehen Sie das denn nicht?«
      »Nein! Verstehe ich nicht! Sie reden sentimentalen Quatsch! Ist gar nichts daran zu verstehen. Geht doch immer so! Und nun trinken Sie das da aus! So wie … nun, wie er es ausgetrunken hätte. Zum Teufel, meinen Sie, es geht mir nicht an die Knochen?«
      »Ja …«
      Kern trank das Glas aus. »Ich bin wieder beieinander«, sagte er. »Haben Sie eine Zigarette, Marill?«
      »Natürlich. Hier …«
      Kern atmete den Rauch tief ein. Er sah plötzlich, im Halbdunkel der Katakombe, Steiners Gesicht. Etwas ironisch, vorgeneigt, beschienen vom flackernden Kerzenlicht, wie damals vor einer Ewigkeit im Gefängnis in Wien, und ihm war, als hörte er die ruhige, tiefe Stimme: »Na, Baby?« Ja, dachte er, ja, Steiner!
      »Weiß Ruth es?« fragte er.
      »Ja.«
      »Wo ist sie?«
      »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich beim Flüchtlingskomitee. Sie wußte nicht, daß Sie kämen.«
      »Nein. Ich

Weitere Kostenlose Bücher