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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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drei Pakete Sicherheitsnadeln. Er verdiente damit insgesamt drei Franken. Mehr aus Gleichgültigkeit ging er schließlich in ein kleines Wäschegeschäf, das einer Frau Sarah Grünberg gehörte.
      Frau Grünberg, eine Frau mit wirrem Haar und einem Zwicker, hörte ihn geduldig an.
      »Das ist nicht Ihr Beruf, wie?« fragte sie.
      »Nein«, sagte Kern. »Ich glaube, ich bin auch nicht sehr geschickt dafür.«
      »Wollen Sie arbeiten? Ich mache gerade Inventur. Zwei bis drei Tage hätte ich zu tun. Sieben Franken am Tag und gutes Essen. Sie können morgen um acht kommen.«
      »Gern«, sagte Kern, »aber …«
      »Ich weiß schon … von mir erfährt keiner was. Und nun geben Sie mir ein Stück Seife. Reicht das, drei Franken?«
      »Es ist zuviel.«
      »Es ist nicht zuviel. Es ist zuwenig. Verlieren Sie den Mut nicht.«
      »Mit Mut allein kommt man nicht weit«, sagte Kern und nahm das Geld. »Aber es gibt immer wieder Glück. Das ist besser.«
      »Sie können mir jetzt noch ein paar Stunden aufräumen helfen. Einen Franken die Stunde. Nennen Sie das auch Glück?«
      »Ja«, sagte Kern. »Mit Glück kann man gar nicht weit genug unten anfangen. Um so öfer kommt es.«
      »Lernen Sie so was unterwegs?« fragte Frau Grünberg.
      »Unterwegs nicht; aber in den Pausen, wenn ich nicht unterwegs bin. Dann denke ich darüber nach und versuche, etwas daraus zu lernen. Man lernt jeden Tag etwas. Manchmal sogar von Kommerzienräten.«
      »Verstehen Sie auch was von Wäsche?« fragte Frau Grünberg.
      »Nur von sehr grober. Ich habe kürzlich in einem Institut zwei Monate lang nähen gelernt. Allerdings nur sehr einfache Sachen.«
      »Kann nie schaden«, erklärte Frau Grünberg. »Ich kann sogar Zähne ziehen. Habe es vor zwanzig Jahren mal von einem Dentisten gelernt. Wer weiß … vielleicht mache ich damit noch gelegentlich mein Glück!«

    KERN ARBEITETE BIS zehn Uhr und bekam außer einem guten Abendessen noch fünf Franken ausgezahlt. Das reichte mit dem andern für zwei Tage und gab ein besseres Gefühl als hundert Franken des Kommerzienrates Oppenheim.
      Ruth wartete auf ihn in einer kleinen Pension, die aus dem Adressenverzeichnis von Binder stammte. Man konnte dort ein paar Tage wohnen, ohne angemeldet zu sein. Sie war nicht allein. Neben ihr am Tisch auf der kleinen Terrasse saß ein schlanker, älterer Mann.
      »Gottlob, daß du da bist«, sagte Ruth und stand auf. »Ich habe schon Angst um dich gehabt.«
      »Du mußt keine Angst haben. Wenn man Angst hat, passiert meistens nichts. Es passiert nur etwas, wenn man gar nicht damit rechnet.«
      »Das ist ein Sophismus, aber keine Philosophie«, sagte der Mann, der mit Ruth am Tisch gesessen hatte.
      Kern drehte sich nach ihm um. Der Mann lächelte. »Kommen Sie und trinken Sie mit mir ein Glas Wein. Fräulein Holland wird Ihnen sagen, daß ich harmlos bin. Ich heiße Vogt und war irgendwann einmal Privatdozent in Deutschland. Leisten Sie mir etwas Gesellschaf bei meiner letzten Flasche.«
      »Warum bei Ihrer letzten Flasche?«
      »Weil ich morgen für eine Zeitlang in Pension gehe. Ich bin müde. Ich muß mich etwas ausruhen.«
      »Pension?« fragte Kern verständnislos.
      »Ich nenne es so. Man kann auch Gefängnis dazu sagen. Ich werde mich morgen bei der Polizei melden und erklären, daß ich mich seit zwei Monaten illegal in der Schweiz aufalte. Dafür bekomme ich dann ein paar Wochen Gefängnis, weil ich schon zweimal ausgewiesen worden bin. Staatspension. Es ist wichtig zu sagen, daß man schon einige Zeit wieder im Lande ist; sonst gilt der Bruch der Einreisesperre als Notstand und man wird nur über die Grenze abgeschoben.«
      Kern sah Ruth an.
      »Wenn Sie etwas Geld brauchen … ich habe heute ganz gut verdient.«
      Vogt wehrte ab. »Danke, nein, ich habe noch zehn Franken. Das reicht für den Wein und die Nacht. Ich bin nur müde; ich will mich wieder einmal ausruhen. Und das können wir doch nur im Gefängnis. Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt und nicht sehr gesund. Ich bin wirklich sehr müde vom Herumlaufen und Verstecken. Kommen Sie, setzen Sie sich beide zu mir. Wenn man so viel allein ist, freut man sich an Gesellschaf.«
      Er goß Wein in die Gläser. »Es ist Neuchâteler; herb und rein wie Gletscherwasser.«
      »Aber Gefängnis …«, sagte Kern.
      »Das Gefängnis in Luzern ist gut. Ich kenne es … das ist der Luxus, den ich mir gönne; daß ich mir

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