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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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mir. Ein Bild – woher soll ich nur ein Bild nehmen?«
      Er nahm den Brief vom Tisch. »Nehmen Sie den Kuchen, ich bitte Sie! Wenn Sie ihn nicht haben wollen, geben Sie ihn Ruth. Sie brauchen ihr ja nicht zu sagen, was es damit auf sich hat.«
      Kern zögerte. »Es ist ein guter Kuchen. Ich möchte nur ein kleines Stückchen abschneiden … gerade nur so …«
      Binder zog ein Messer aus der Tasche, schnitt einen schmalen Streifen vom Rand der Sandtorte ab und legte ihn in den Brief seiner Mutter. »Wissen Sie was?« sagte er dann, mit einem sonderbar zerfallenen Gesicht. »Mein Bruder hat meine Mutter nie sehr geliebt. Aber ich … ich; komisch, was?«
      Er ging auf sein Zimmer.

    ES WAR ABENDS gegen elf Uhr. Ruth und Kern saßen auf der Terrasse. Binder kam die Treppe herunter. Er war wieder kühl und elegant wie früher.
    »Kommen Sie mit mir noch irgendwohin?« sagte er. »Ich kann
    noch nicht schlafen. Und ich möchte heute nicht allein sein. Nur eine Stunde. Ich weiß ein Lokal, das sicher ist. Tun Sie mir den Gefallen.«
      Kern sah Ruth an. »Bist du müde?« fragte er.
      Sie schüttelte den Kopf.
      »Tun Sie mir den Gefallen«, sagte Binder. »Nur eine Stunde. Um etwas anderes zu sehen.«
      »Gut.«
      Er führte sie zu einer Café-Bar, in der getanzt wurde. Ruth sah hinein. »Das ist zu elegant«, sagte sie. »Das ist nichts für uns!«
      »Für wen sollte es denn sonst sein, wenn nicht für uns Kosmopoliten«, erwiderte Binder mit trübem Spott. »Es ist auch gar nicht so elegant, wenn Sie wirklich hinsehen. Nur gerade genug, um sicher vor Detektiven zu sein. Und ein Kognak ist hier nicht teurer als anderswo. Die Musik aber viel besser. So was braucht man manchmal auch. Kommen Sie, bitte. Da ist schon ein Platz.«
      Sie setzten sich und bestellten etwas zu trinken. »Was nützt alles«, sagte Binder und hob sein Glas. »Wir wollen fröhlich sein! Das Leben ist bald zu Ende, und nachher gibt uns niemand etwas dafür, ob wir fröhlich oder traurig waren.«
      »Richtig.« Kern nahm ebenfalls sein Glas. »Wir wollen einfach annehmen, wir wären einmal richtige Inländer, nicht wahr, Ruth? Leute, die eine Wohnung in Zürich haben und einen Ausflug nach Luzern machen.«
      Ruth nickte und lächelte ihm zu.
      »Oder Touristen«, sagte Binder. »Reiche Touristen!«
      Er trank sein Glas aus und bestellte ein neues. »Nehmen Sie auch noch eins?« fragte er Kern.
      »Später.«
      »Nehmen Sie noch eins. Man kommt schneller in Stimmung. Bitte tun Sie es.«
    »Gut.«
      Sie saßen an ihrem Tisch und sahen den Tanzenden zu. Es war eine Menge junger Leute da, die auch nicht älter waren als sie … aber trotzdem wirkten sie auf eine sonderbare Art wie drei verirrte Kinder, die mit großen Augen dasaßen und nicht
      dazugehörten. Es war nicht ihre Heimatlosigkeit allein, die wie ein grauer Ring um sie lag – es war auch die Freudlosigkeit einer Jugend, die ohne viel Hoffnung und Zukunf war. Was ist das nur mit uns? dachte Kern, wir wollten doch froh sein! Ich habe doch alles, was ich nur haben kann, und fast noch mehr, was ist das nur?
      »Gefällt es dir?« fragte Ruth.
      »Ja, sehr«, erwiderte sie.
      Das Lokal verdunkelte sich, ein bunter Scheinwerfer huschte über die Tanzfläche, und eine hübsche schlanke Tänzerin wirbelte über das Parkett.
      »Wunderbar, was?« fragte Binder und klatschte.
      »Hervorragend!« Kern klatschte mit.
      »Die Musik ist großartig, nicht wahr?«
      »Erstklassig!«
      Sie saßen da und waren sehr bereit, alles herrlich zu finden und leicht und fröhlich zu sein; aber es war etwas wie Staub und Asche in allem, und sie wußten nicht, woher es kam.
      »Warum tanzen Sie nicht einmal zusammen?« fragte Binder.
      »Wollen wir?« Kern stand auf.
      »Ich glaube nicht, daß ich es kann«, sagte Ruth.
      »Ich kann es auch nicht. Das macht es einfacher.«
      Ruth zögerte einen Augenblick; dann ging sie mit Kern zur Tanzfläche. Die bunten Scheinwerfer glitten über die Tanzenden. »Da kommt gerade violettes Licht«, sagte Kern. »Eine gute Gelegenheit, unterzutauchen!«
      Sie tanzten vorsichtig und etwas scheu miteinander. Allmählich wurden sie sicherer, besonders als sie merkten, daß niemand sie beobachtete. »Wie schön das ist, mit dir zu tanzen«, sagte Kern. »Es gibt immer neue schöne Dinge mit dir. Nicht allein, daß du da bist … alles rundherum wird auch anders und schön.«
      Sie

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