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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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heiß in Zürich. Ein Detektiv war hinter mir her. Und dann …« sein Gesicht verschattete sich, »komme ich von Zeit zu Zeit her, um Briefe aus Deutschland abzuholen.«
      »Von Ihren Eltern?«
      »Von meiner Mutter.«
      Kern schwieg. Er dachte an seine Mutter. Er hatte ihr ab und
    zu geschrieben. Aber er konnte keine Antwort bekommen, weil seine Adresse ständig wechselte.
      »Essen Sie gern Kuchen?« fragte Binder nach einer Weile.
      »Ja, natürlich. Haben Sie welchen?«
      »Ja. Warten Sie einen Augenblick.«
      Er kam mit einem Paket zurück. Es war ein Pappkarton, in dem, sorgfältig in Seidenpapier gewickelt, eine kleine Sandtorte lag.
      »Heute vom Zoll gekommen«, sagte Binder. »Die Leute hier haben sie abgeholt.«
      »Aber die essen Sie doch selber«, sagte Kern. »Ihre Mutter hat sie selbst gebacken, das sieht man sofort!«
      »Ja, sie hat sie selbst gebacken. Deshalb will ich sie ja nicht essen. Ich kann es nicht. Nicht ein Stück!«
      »Das verstehe ich nicht. Mein Gott, wenn ich von meiner Mutter einen Kuchen bekäme! Einen Monat würde ich daran essen! Jeden Abend ein kleines Stück.«
      »Aber verstehen Sie doch!« sagte Binder mit unterdrückter, hefiger Stimme. »Sie hat ihn nicht für mich geschickt! Er ist für meinen Bruder.«
      Kern starrte ihn an. »Sie haben doch gesagt, Ihr Bruder sei tot.«
      »Ja, natürlich. Aber sie weiß es noch nicht.« »Sie weiß es nicht?«
      »Nein. Ich kann es ihr nicht schreiben. Ich kann es einfach nicht. Sie stirbt, wenn sie es erfährt. Er war ihr Liebling. Mich mochte sie nie besonders. Er war auch besser als ich. Deshalb hat er auch nicht ausgehalten. Ich komme durch! Natürlich! Sie sehen es ja!« Er schleuderte das Geld Oppenheims auf den Fußboden.
      Kern hob den Schein auf und legte ihn wieder auf den Tisch, Binder setzte sich auf einen Stuhl und zündete sich eine Zigarette an. Dann zog er einen Brief aus der Tasche. »Hier … das ist ihr letzter Brief. Er lag dabei. Wenn Sie das lesen, werden Sie verstehen, daß es einem an die Knochen geht.«
      Es war ein Brief auf blaßblauem Papier, mit einer weichen, schrägen Handschrif, wie von einem jungen Mädchen geschrieben. »Mein innigstgeliebter Leopold. Deinen Brief habe ich gestern erhalten, und ich habe mich so darüber gefreut, daß ich mich erst einmal hinsetzen mußte und abwarten, bis ich ruhiger wurde. Dann habe ich ihn aufgemacht und angefangen zu lesen. Mein Herz ist nicht mehr so gut durch alle die Aufregungen, das kannst Du Dir sicher wohl denken. Wie froh bin ich, daß Du nun endlich Arbeit gefunden hast! Wenn Du auch nicht viel verdienst, mach Dir nichts daraus; wenn Du fleißig bist, wird es schon vorwärtsgehen. Dann kannst Du später auch wohl wieder studieren. Lieber Leopold, achte doch auf Georg. Er ist so schnell und unbedacht! Aber solange Du da bist, bin ich ruhig. Ich habe Dir heute morgen einen Kuchen gebacken von der Sandtorte, die Du immer so gerne gegessen hast. Ich schicke ihn Dir, hoffentlich kommt er nicht zu trocken an. Obwohl, Sandtorte darf ja ruhig etwas trocken sein, deshalb habe ich .Dir die gebacken, sonst hätte ich Dir einen Frankfurter Kranz geschickt, den magst Du ja am liebsten. Aber der verdirbt sicher unterwegs. Lieber Leopold, schreib mir bald wieder, wenn Du Zeit hast. Ich bin immer so unruhig. Hast Du nicht ein Bild von Dir? Hoffentlich sind wir bald alle wieder zusammen. Vergiß mich nicht. Deine Dich liebende Mutter. Grüße Georg.«
      Kern legte den Brief auf den Tisch. Er gab ihn Binder nicht in die Hand; er legte ihn neben ihm auf den Tisch.
      »Ein Bild«, sagte Binder. »Wo soll ich denn ein Bild herkriegen?«
      »Hat sie den letzten Brief Ihres Bruders erst jetzt bekommen?«
      Binder schüttelte den Kopf. »Er hat sich vor einem Jahr erschossen. Seitdem schreibe ich ihr. Alle paar Wochen. In der Handschrif meines Bruders. Ich habe gelernt, sie nachzumachen. Sie darf nichts wissen. Es ist unmöglich. Finden Sie nicht auch, daß sie nichts wissen darf?« Er sah Kern drängend an. »Sagen Sie doch, was Sie meinen!«
      »Ja. Ich glaube, es ist besser so.«
      »Sie ist sechzig. Sechzig, und ihr Herz ist kaputt. Sie lebt nicht mehr lange. Ich werde es wohl schaffen, daß sie es nicht erfährt. Daß er es selbst getan hat, verstehen Sie, das könnte sie nie begreifen.«
      »Ja.«
      Binder stand auf. »Ich muß ihr jetzt wieder einen Brief schreiben. Von ihm. Dann habe ich es hinter

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