Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
sich selbst verachten, weil sie weiß, dass sie nicht geliebt wird.*
Ich hatte meine innere Unruhe, meine ewige Suche nie so klar in Verbindung mit Sex gebracht. Für meinen Verstand klangen die Thesen von Barry Long überaus radikal. Aber in meinem Herzen regte sich was: Da war so ein leises »Ja, ja, ja! Ja, genau!« zu hören.
Aber ich war keine Feministin. Ich liebte die Männer und achtete sie.
Ganz im Gegenteil - oft hatten Frauen mir zu großes Verständnis für die Männer vorgeworfen. Und jetzt sollte der Sex der Männer uns Frauen verseucht haben? Barry Long behauptete, er habe uns sogar zu Furien, zu Zicken, zu weiblichen Dämonen der Emotion gemacht: Solange die Welt weiter besteht wie bisher, wird die Furie den Mann nie sein Versagen, die Frau richtig zu lieben, vergessen lassen. Die Frau muss geliebt werden. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, dass die Frau geliebt wird.**
Trotz aller scheinbar männerfeindlichen Radikalität wollte ich damals wissen: Was ist diese göttliche körperliche Liebe, wie geht sexuelle Liebe auf göttliche Weise? Also las ich das
* Barry Long: Sexuelle Liebe auf göttliche Weise, Saarbrücken: Verlag Neue Erde
2001, S. 19-20
** ebenda, S. 21
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kleine Buch zu Ende. Seine Thesen blieben bis zum letzten Satz radikal, aber sie waren das Schlüssigste, was ich je über Sex gelesen hatte. Und je länger ich weiterlas, entdeckte ich: Diese Thesen waren gerade wegen ihrer Radikalität das Versöhnlichste und Liebevollste, was ich je über Sex gelesen hatte, und zwar - wie sich Gott sei Dank herausstellte - für Männer und Frauen gleichermaßen.
Seitdem habe ich den enttäuschten Schilderungen vieler Männer und Frauen über ihr Sexualleben in meiner Praxis zugehört. Vor kurzem las ich ihr Zeitungsinterview mit einem führenden Pornovideo-Produzenten über Wachstum und Trends in seiner Branche. Besonders erfolgreich seien bei den männlichen Kunden vor allem die Filme, die sich besonders nah am Zeitgeist orientierten. »Und da ist es derzeit in Mode, nicht die Lust der Frau, sondern ihren Widerwillen zu inszenieren«, erläuterte der Produzent im Interview nüchtern.
Heute weiß ich, dass die wahre körperliche Liebe, von der Barry Long spricht, einen für Männer wie Frauen gleichermaßen rettenden Ausweg aus Widerwillen, triebhafter Sex-Sucht, Langeweile und Beziehungselend bieten könnte. Ich weiß, dass diese Liebe Ihre Partnerschaft grundlegend ändern kann. Sie müssen sich allerdings entscheiden. Sie müssen sich entscheiden für eine neue Form von körperlicher Liebe mit Ihrem alten, vielleicht wenig Verheißung versprechenden Partner. Dazu reicht am Anfang, sich einzugestehen, dass Sie nicht die sexuelle Erfüllung finden, nach der Sie sich eigentlich sehnen, dass Sie nicht wissen, wie das alles geht. Es reicht, wenn Sie einfach nur eine Sehnsucht verspü310
ren, einen besseren Weg zu finden. Es reicht, dass Sie erst einmal bereit sind, sich Ihrem Partner bewusst so - vielleicht hilflos, verletzlich, wütend, abweisend, ausgehungert, verbittert oder gefühlstaub - zu zeigen, wie Sie gerade sind, auch wenn dies keinem einzigen der Idealbilder von Sex, Liebe oder Partnerschaft entspricht, das Sie je gesehen, gelesen, gehört oder gedacht haben.
Erfüllung jenseits von Orgasmus
Damit Ihre Sexualität und damit Ihre Partnerschaft und Ihr eigenes Sein wirklich heilen können, bedarf es dieser radikalen Umkehr.
Statt ständig auf einen Orgasmus hinzuarbeiten, ihn zu ersehnen, sich auf ihn zu konzentrieren und zu fixieren, geht es darum, sich in Ihre natürliche, häufig verschüttete, aber doch immer vorhandene sexuelle Energie hineinzuentspannen. Statt Druck auszuüben, irgendetwas machen oder sein zu wollen, sollten Sie vielmehr bereit sein für eine Art geistigen Entzug von Ihren Fantasien, Vorstellungen und Idealen vom tollen Sex. Männer wie Frauen werden üben müssen, sich ohne Gedanken, Ziele, Emotionen und Fantasien zu lieben. Das fühlt sich anfänglich wahrscheinlich befremdlich an, aber es führt dazu, die Kontrolle aufzugeben und die Begegnung wirklich den Körpern und ihren natürlichen Impulsen zu überlassen.
Vielleicht ist es Ihnen nicht bewusst, aber in der Sexualität geht es ganz oft um Kontrolle - vor allem um Kontrolle über sich selbst. Wir kontrollieren uns - meistens unbewusst, aber
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unablässig -, um unseren Ansprüchen und Anforderungen an uns zu entsprechen. Wir kontrollieren unsere Sexualität, wir spielen Spiele,
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