Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
darstellen. Wenn wir heute ein wahrhaft ausgeglichenes und authentisches Leben führen wollen, dann brauchen vni unseren Schatten unbedingt zurück - auch wenn wir ihn längst auf einen anderen projiziert haben und ihn scheinbar verabscheuen. In ihm verbergen sich entscheidende Gaben und Fähigkeiten, die wir für unser Fortkommen oder unser Lebensglück - und häufig auch für das unserer Kinder - brauchen.
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Wenn Eltern in Zeiten von Streit, Krise, Trennung oder Scheidung nicht so stark in die Polarisierung mit ihrem Partner verstrickt wären, könnten sie meistens erkennen, dass die Kinder dringend, manchmal lebenswichtig, das für ihre Entwicklung brauchen, was sie selbst am Partner nicht mehr ertragen können. Das Tragische gerade an diesem Punkt einer Beziehung ist, dass wir - erkennen wir den Schatten schon nicht am Partner als einen Teil von uns, sondern verurteilen oder hassen ihn gar zutiefst - auch nicht erkennen können, wie dringend unsere Kinder diese Kraft benötigen, um in ihre Mitte zu kommen. Wenn wir stets pflichtbewusst und pünktlich sind, brauchen unsere Kinder dringend ein bisschen Chaos, damit überhaupt Platz für ihre spielerische Kreativität ist.
Nachdem wir meist schon geraume Zeit mit unserem Partner in einen Entweder-oder-Machtkampf verstrickt waren, können wir nach einer Trennung unseren Kindern keinen größeren Gefallen tun, als den Abstand zum Partner wirklich zu nutzen.
Jetzt, da wir wieder ein bisschen sicheren Raum haben, sollten wir uns so bewusst und liebevoll wie möglich mit dessen verhasster Eigenart und ihrer Integration in unser Leben beschäftigen. Wenn Sie das Chaos Ihres Partners unerträglich fanden, dann erlauben Sie sich endlich selbst ein bisschen Chaos - Sie müssen es ihm ja nicht erzählen. Nur so können die Kinder zur Ruhe kommen und müssen nicht erneut all das abspalten, was Sie schon als Kind abgespalten haben.
Vor den Kindern nicht über den ehemaligen Partner zu sprechen, nützt dabei gar nichts - auch hier gilt das, was 338
schon für uns als Kinder galt: Es geht ums Klima - und das, was Sie nicht sagen, hören die Kinder am deutlichsten. Wenn Sie hadern und innerlich um den Frieden mit dem Ex-Partner kämpfen, dann ist es besser, den Kindern dies ehrlich zu zeigen. Nur so können die Kinder selbst innerlich nach Frieden suchen, statt ihre Liebe zu Ihnen beiden gezwungenermaßen in die Abspaltung schicken zu müssen.
Ich will nicht Papa - ich will die Liebe
Besonders deutlich hat mir Nora gezeigt, was im Inneren von Kindern geschieht, wenn Eltern sich bekriegen. Nora ist eine junge Frau Anfang zwanzig. Sie kam zu mir mit einer Essstörung, die ihr Leben bestimmte, seit sich ihre Eltern getrennt hatten. Nora lebte in ihrer eigenen Wohnung, fuhr aber oft zu ihrer Mutter in ihr ehemaliges Elternhaus. Kaum war sie dort, aß sie, wenn es keiner mitbekam, alles, was sie kriegen konnte. Oft nahm sie ihrer Mutter heimlich Geld aus dem Portemonnaie. Egal, ob sie ihr Elternhaus oder die Wohnung ihres Vaters verließ, unmittelbar danach musste sie wie unter Zwang riesige Mengen von Lebensmitteln einkaufen und damit in ihrer eigenen Wohnung eine Fressorgie veranstalten, um anschließend alles wieder zu erbrechen.
Sie nannte ihren Zustand »zwischen ihren Eltern am Gummi hängen«: Wenn sie mit dem einen sei, dürfe sie nicht mehr mit dem anderen sein. Plötzlich sei da so ein »Stopp« in ihr, dann dürfe sie nicht mehr näher. Einmal sagte sie: »Mit meiner Mutter kann ich angeblich reden, seit mein Vater aus339
gezogen ist. Aber das sind nur Worte. Sie sagt ungefragt, dass sie ihn akzeptiert. Aber eigentlich ist sie immer irgendwie wütend, egal, was er macht. Am schlimmsten ist es, wenn sie mich umarmen will. Wenn ich sie spüre, ist das irgendwie so,
.ils ob man auf die heiße Herdplatte fasst. Das fühlt sich schrecklich angespannt und leer an. Das ist wie verhungern. Bei meinem Vater ist es eher, wie an Erbrochenem zu ersticken. Der ist zwar lockerer als meine Mutter, aber immer, wenn ich mich richtig freue, bei ihm zu sein, hängt er nur rum und redet von damals, oder er ist mit irgendwas scheinbar Wichtigem beschäftigt und gar nicht richtig da.«
Einmal hat Nora im Verlauf unserer Arbeit einen Brief an ihre Mutter geschrieben, den sie leider nie abgeschickt hat: »Du glaubst mir nicht, aber eigentlich ist es mir egal, ob du mit Papa oder dem Neuen zusammenlebst. Wirklich! Du glaubst, ich will immer nur, dass ihr wieder zusammen seid. Aber
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