Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
Frauen haben mir solche Geschichten erzählt. Männer wiederum sind häufig voller Scham und Selbstverachtung, wenn sie ihren geradezu süchtigen Pornokonsum oder ihre regelmäßigen Bordellbesuche offenbaren.
Kürzlich wartete ich im Auto auf jemanden. Mein Wagen parkte zur Mittagszeit mitten in unserer Stadt vor einem Por159
nokino mit Peepshow. Während ich dasaß und wartete, spuckte der Ausgang einen Mann nach dem anderen aus. Wie musste es wohl sein, so alleine in einer Kabine oder auf einem Kinosessel mit ein paar Kleenex? Nach allem, was ich schon aus den Gesprächen in meiner Praxis wusste, stellte ich mir vor, was die Männer dort drinnen gerade erlebt oder gemacht hatten, was sie losgeworden, was sie bekommen hatten. Derweil schaute ich in ihre Gesichter. Männer aller Altersklassen und aller Nationalitäten. Männer mit gut sitzenden Anzügen. Männer mit schmuddeligen Hosen und speckigen Haaren. Kleine, große, dicke, dünne Männer. So unterschiedlich sie auch schienen, eins war bei allen gleich: Sie hatten einen leeren Blick und duckten sich schnellen Schrittes von dannen. Sie wirkten unruhig, als ob sie von anderer Leute Blicken, vor allem aber von den eigenen Schamgefühlen verfolgt würden. Während ich ihnen hinterher schaute, stieg in mir ein Gefühl von Traurigkeit und Mitgefühl auf. Wie sehr mussten sie sich danach sehnen, eine Frau wirklich glücklich zu machen?
Oft erzählen mir Männer von ihren Gründen, warum sie Sex oder Bilder von Sex kaufen, warum sie heimlich kleine Vermögen in Bordellen lassen oder Nächte auf den einschlägigen Internet-Seiten verbringen, nachdem ihre Frauen längst schlafen gegangen sind. Stets haben die Schilderungen etwas von einem Krankheitsverlauf, von einer Sucht, die ihren Ursprung fast immer in einer Selbstwahrnehmung von Unzulänglichkeit findet. Irgendwo in der dunkelsten Ecke ihres Bewusstseins lauert ein Gefühl von: »Ich bin ein Versager. Ich konnte meine Frau nicht mehr glücklich machen, sie 160
nicht öffnen, sie nicht erreichen ...« Und irgendwo in ihren Körpern wartet gleichzeitig ein unbändiges Verlangen darauf, sich zu befreien, sich zu geben, sich mit einem Menschen zu verbinden.
Idealbilder, Idealpartner, Idealstellungen
Hollywood-Filme, Statistiken, Werbung - von der öffentlichen Hatz
nach
Idealbildern,
Idealpartnern,
Idealstellungen,
Idealhäufigkeiten lassen Männer wie Frauen sich immer mehr unter Druck setzen. Schließlich werden sie von einem unablässigen Drang getrieben, alles perfekt machen zu müssen.
Meiner Meinung nach sind Leistungsdruck, emotionale und seelische Erschöpfung das, was der körperlichen Liebe heutzutage am meisten im Weg steht. Alle Welt beschäftigt sich geradezu zwanghaft mit der Frequenz der Liebe; damit, dass man zweimal pro Woche miteinander schlafen »muss«, dass dagegen »nur zweimal pro Monat« ein ernst zu nehmendes Kriterium für sexuelle Mangelhaftigkeit einer Partnerschaft sei.
Genau dieser Anspruch, dieses Messen und Vergleichen, sorgt für das Absterben der Lust. Nichts fehlt der körperlichen Liebe mehr als Selbstvergessenheit, Entspannung und Muße.
Stattdessen ist sie technisiert, kontrolliert oder von Fantasien und Utopien befrachtet, völlig aus dem Gleichgewicht geraten.
So wie ich zu Anfang behauptet habe, dass siebzig Prozent der Scheidungen nicht sein müssten, so machen mich die schambeladenen oder suchtverzerrten Geständnisse meiner Klienten glauben, dass es bei einer
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ähnlich hohen Anzahl von Ehen jahrelang keinen oder von Praktiken und Reibungsroutine bestimmten, aber vom Herzen getrennten Sex gab.
Kein Mensch wagt zu sagen: »Wir haben wenig Sex. « Selbst für den, der sich mutig über all die quantitativen Ansprüche hinwegsetzt, für den ist es meist trotzdem tabu auszudrücken, dass ihm auch bei statistisch einwandfreier Liebesfrequenz etwas Unerklärliches fehlt, dass irgendwo in ihm etwas Unerfülltes nagt.
Unzählige Paare fühlen sich in ihrer langjährigen Beziehung in einem Zyklus gefangen, der sich bei ihren sexuellen Begegnungen wiederholt und selten etwas Neues, Kreatives mit sich bringt oder gar einem Zauber unterliegt. Sexy Dessous, Pornovideos, Rollenspiele, Swingerclubs, Partnerwechsel - auch das bietet auf Dauer keinen Raum für einen Austausch von Herz und Seele.
Vielleicht lieben sich die Partner ja weiterhin, aber sie können ihre Liebe auf keinem dieser Wege körperlich wirklich zum Ausdruck bringen. Das wiederum führt fast immer
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