Liebe die bleibt
Zehenspitzen wieder zurück, schaltete das Tonband ein und drückte die Aufnahmetaste. Etwa eine Viertelstunde lang lag ich bewegungslos neben ihm und nahm seine Schlafgeräusche auf. Warum tat ich das? Weil ich mir einbildete, ohne diese schlummernden Laute nicht mehr einschlafen zu können. Ein leises Klicken beendete meinen Lauschangriff. Anschließend tippelte ich ins Wohnzimmer zurück und verstaute das Tonbandgerät wieder an seinen Platz, mit der sicheren Überzeugung, es irgendwann dringend zu benötigen. Irgendwann, wenn ich ihn vermisse, wenn mich die Sehnsucht quält… irgendwann, aber nicht jetzt.
Als Augustin erwachte , hatte ich bereits den Frühstückstisch gedeckt. Wie ein Hütchenspieler rückte ich Tassen, Teller und Besteck betulich zurecht, als müsse ich eine Prüfung bestehen. Fünf Minuten später saß Augustin an einem perfekt gedeckten Tisch.
Z wei Tage später zog er bei mir ein.
Es war nicht sein Wunsch, sondern meine Bitte, die ihn dazu bewog. Ich war über beide Ohren in Augustin verliebt und war geradezu euphorisch, als er einwilligte. Überschäumend vor Freude sprang ich ihm um den Hals und bedankte mich sogar für seine Entscheidung.
„Du wirst es nicht bereuen“, versprach ich.
Sein Angebot, sich als Gegenleistung an den anfallenden Kosten wie Miete, Strom und Lebensunterhalt finanziell zu beteiligen, nahm ich nur halbherzig zu Kenntnis. Ich verdiente genug, um uns beide ernähren zu können. Den Gedanken, dass meine Einnahmequellen einmal versiegen könnten, ließ ich nicht zu. Die verlockende Vorstellung, jeden Morgen mit meinem Liebsten aufzuwachen, abends mit ihm gemeinsam einzuschlafen, dominierte mein Gemüt und bestärkten mich in meiner Entscheidung. Ich wollte ein neues Leben beginnen, mein altes in den Untiefen der Vergangenheit versenken, endlich leben und glücklich sein, meine sexuellen Gefühle auskosten. War das zu viel verlangt?
Offensichtlich nicht. Jedenfalls nicht an jenem Tag, als Augustin mit seinen Habseligkeiten im Schlepptau vor meiner Wohnungstür stand und mich mit seinem merkwürdigen Aufzug überraschte. Auf den Kopf trug er einen ausgefransten Strohhut, an dem ein Schnorchel befestigt war. Unter seinem Anorak lugte ein schwarzgelber Neoprenanzug hervor, in seinem linken Arm hielt er ein knallbuntes Surfbrett, unter dem rechten, klemmte ein Paar quietschbunter Schwimmflossen. Für eine Millisekunde starrte ich ihn verdattert an, dann prustete ich los.
„Willst du mich nicht reinlassen… in mein neues Zuhause?“, würgte er meinen Lachanfall mit einer großen Lebenskünstlergeste ab.
„Ist das alles?“, setzte ich dagegen, mein Augenmerk auf seine mitgebrachten Habseligkeiten gerichtet. Eine große Reisetasche, Schlittschuhe, Rollerblades und eine Laptoptasche – mehr hatte er nicht bei sich. Eigentlich sah er aus, als wäre er auf der Durchreise, als wolle er sich nur ein paar Tage bei mir einquartieren. Auch wenn sein Auftreten mehr etwas Unverbindliches als Endgültiges signalisierte, kam mir die bescheidene Ausbeute seiner Besitztümer doch sehr gelegen.
Ein paar Stunden später lag seine Zahnbürste in meinem Bad, seine Klamotten in meinem Schrank, sein Laptop auf meinem Tisch, sein Körper in meinem Bett – ich war glücklich.
So wie ich jeden neuen Tag herbeisehnte, fieberte ich jeder Nacht entgegen. Unser Alltagsleben war von Harmonie und unser Liebesleben von Leidenschaft geprägt. Es gab keine bösen Worte zwischen uns, keine Heimlichkeiten, kein Misstrauen, keine Eifersucht. Es gab Meinungsverschiedenheiten, die in temperamentvolle Diskussionen ausarteten, tiefgründige Gespräche, die uns die Zeit vergessen ließen und kleine Missverständnisse, die mit Humor und Selbstironie ausgebügelt wurden. Manchmal sprach er Dinge aus, die ich gerade dachte, und manchmal erledigte er bereits Dinge, um die ich ihn bitten wollte. Ein tropfender Wasserhahn, eine defekte Schublade oder eine quietschendes Scharnier, es waren Belanglosigkeiten, die mich im Gefühl der Seelenverwandtschaft bestärkten. Wir waren eine seelische Einheit, die sich aus zwei Dualseelen, zwei Hälften einer Seele zusammensetzte. Entsprechend sorgsam gingen wir mit unserer Liebe um. Wir hegten, pflegten und fütterten sie, als hätte man sie uns zur Aufzucht anvertraut. Nichts deutete darauf hin, dass sich das Blatt wenden könnte.
Bis zu jenem Tag, als es an meiner Tür Sturm klingelte.
„Mach auf!“ Ich vernahm Augustins Stimme.
Wieso macht er
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