Liebe die bleibt
Artikel zu verfassen. Ich schenke mir ein Glas Wein ein und beginne meine Erfahrungen niederzuschreiben. Das Schreiben tut mir gut, je mehr ich mir den Frust von der Seele tippe, desto entspannter fühle ich mich. Ich schreibe, wie mir der Schnabel gewachsen ist, lasse kein gutes Haar an meinen Internetbekanntschaften, nehme kein Blatt vor den Mund, was die elitären Partnerbörsen betrifft, die mir das Geld aus der Tasche gezogen haben. Bezeichne deren kostspielige Kuppelbemühungen als „betreutes Ficken“. Ich brauche noch nicht mal zu übertreiben oder etwas hinzuzudichten, das was ich schreibe, ist die vernichtende Wahrheit. Obwohl mir fast die Augen zufallen, halte ich durch, fülle immer wieder mein Glas auf und hämmere mechanisch in die Tasten, als hätte man mich an ein Notstromaggregat angeschlossen.
Die Morgendämmerung kriecht durchs Fenster, ich knipse meine Schreibtischlampe aus.
„Tschakka!“, rufe ich aus. M eine Stimme klingt lahm, obwohl meine Stimmung gut ist. Ich klappe den Laptop zu. Gähnend schlurfe ins Schlafzimmer, lasse mich aufs Bett fallen und schlafe fast noch im Fallen ein.
Auch als ich gegen Mittag aufwache ist mein Verdacht nicht verflogen, einen sensationellen Artikel verfasst zu haben. Erst als ich ihn noch mal querlese, kommen mir klitzekleine Zweifel. Bin ich nicht doch etwas übers Ziel hinausgeschossen? – Wie dem auch sei. Ich fügte in den Kopf der Textdatei die Zahl der Wörter und Buchstaben ein, damit die Buchhaltung meines Verlages später keine Abstriche bei der Abrechnung macht. Sorgfältig guckte ich noch einmal den Vorspann durch. Manchmal schreiben Redaktionen dort etwas hinein, was man als Journalistin dort gar nicht gerne lesen mag. Doch ja, dachte ich, sogar mit meinen Zwischenüberschriften bin ich ganz zufrieden. „Und jetzt los mit dir“, sprach ich halblaut zu mir selbst, als ich die E-Mail mit meinem Artikel an die Chefin vom Dienst abschickte, den eigentlichen Arbeitsesel der Redaktion. Ein Arbeitsesel, der überall auf die Buchstaben CvD hört.
Fünf Tage später klingelte der Postbote an meiner Tür. Ihn sehe ich eigentlich selten, weil ich kaum jemals etwas im Internet bestelle. Mit Erstaunen sah ich, dass auf dem Umschlag Adresse und Logo des Verlags prangten. Dass ich über die Woche kein Feedback von der CvD bekommen hatte, war nicht völlig ungewöhnlich, aber meist rief sie doch an, weil sie die Einleitung oder Überschriften umgestalten wollte – ein Zeichen des Respekts, mit vielen freien Mitarbeitern springt man gröber um. Hier hatte ich also Post in der Hand, die keine Werbepost vom Verlag ist? Ich bekomme ein mulmiges Gefühl. Mein Magen mulmt zurecht. Es ist ein Brief, der fast ausschließlich aus Textbausteinen besteht. Sie wissen, dass der Einbruch des Anzeigengeschäfts, der die Verlage allgemein heimsucht, auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen ist, heißt es in einem Textbaustein.
Doch die zentrale Aussage ist: Darum sehen wir uns leider genötigt, unseren Rahmenvertrag über freie Mitarbeit vom 6. März 2003 mit sofortiger Wirkung zu kündigen und auch laufende Aufträge vorsorglich zu stornieren.
Mein erstes Gefühl ist Verärgerung. Ich war für diesen Vertrag, der die Zahlungsmodalitäten und den Umgang mit den Urheber- und Nutzungsrechten regelt, damals persönlich in der Redaktion gewesen. Sonst macht man ja fast alles per Telefon oder E-Mail. Das war ein lustiger Aschermittwoch gewesen. Der 5., nicht der 6. März 2003…
Im Umschlag entdeckte ich, als ich ihn wütend zusammenknülle noch ein großes PostIt, ein gelbes Klebezettelchen, das sich vom eigentlichen Brief gelöst hatte. Ich falte es auseinander: Liebe Leila, steht dort in ordentlicher Frauenhandschrift, Deine ungewöhnlichen Artikel haben uns oft überrascht, manchmal geärgert, aber niemals gelangweilt. Leider können wir es uns nicht leisten, ausgerechnet jetzt den Partnerschaftsportalen so aggressiv vor den Kopf zu stoßen, wie Du das machen wolltest. Das hättest Du wissen müssen. Du kennst unsere wirtschaftliche Lage. Viel Glück, Krakelkrakel .
„…hättest Du wissen müssen…“, wiederhole ich mit brüchiger Stimme, während ich spüre wie meine Beine nachgeben und ich langsam zu Boden sinke. Der Brief fällt mir aus der Hand, die gegenüberliegende Wand scheint vor meinen Augen zu verschwimmen. Ich bin nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich bin erledigt… aus und vorbei…“, schniefe ich kraftlos vor
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