Liebe die bleibt
momentan am Sinken“, klärt er mich auf. „Vor einen halben Jahr hätte ich Ihnen noch das Doppelte anbieten können…“
„Das Doppelte von was?“, hake ich gleichgültig spielend nach.
Zwischenzeitlich haben einige Leute das Geschäft betreten. Der Goldhändler schreibt mir eine Zahl auf einen Zettel und schiebt ihn mir zu.
„Zweitausendneunhundertfünfzig Euro… “, flüstere ich ungläubig.
„Mehr geht nicht“, sagt er und zuckt bedauernd mit den Schultern.
„Nein, das… das ist schon in Ordnung, aber… ich möchte es mir doch noch mal überlegen“, stammle ich verwirrt und falte den Zettel sorgfältig zusammen.
Ich krame den Schmuck wieder zusammen und verlasse das Geschäft. Auf der gegenüberliegenden Straße sehe ich einen kleinen Imbissstand. Ich laufe hinüber und bestelle mir einen Kaffee, setze mich auf eine Bank , falte den Zettel wieder auseinander und betrachte die Zahl. Nie hätte ich geglaubt, dass der Schmuck soviel wert wäre. Ich bedanke mich gedanklich bei meinen Eltern und beschließe, den Schmuck erst einmal nicht zu verkaufen. Er gehört zu den wenigen Dingen, die ich noch von ihnen besitze, das kann ich nicht einfach verscherbeln. Es muss noch andere Mittel und Wege geben mich über Wasser zu halten.
Vielleicht sollte ich Tibor um Hilfe bitten? Aber wie sollte er mir helfen? Er würde mir vermutlich Geld anbieten. Ich würde sowieso ablehnen, weil mir seine Freundschaft wichtiger ist. Wie heißt es so schön: bei Geld hört die Freundschaft auf. Nein, das kann ich auf keinen Fall riskieren. Tibor bedeutet mir mehr. Und genau das ist der Punkt. Ich will ihm gegenüber nicht hilflos und abgebrannt wirken, wie eine Frau, die ihr Leben nicht auf die Reihe bringt. Die Hoffnung, seine Zuneigung zu gewinnen, ihn für mich zu gewinnen, könnte ich damit begraben. Nein, mir bleibt nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen.
12. K apitel
„Ich möchte bitte einen Antrag auf Grundsicherung stellen… äh… können Sie mir bitte so einen… äh… Antrag zuschicken?“, frage ich bei der für mich zuständigen Bundesagentur für Arbeit nach.
Die Sachbearbeiterin am anderen Ende der Leitung scheint sich mit den Online-Formularen ihres eigenen Ladens nicht sonderlich auszukennen und teilt mir daher mit fester Stimme mit, dass ich mich schon selbst herbemühen müsse.
Ich bekomme einen Termin für den nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe. Punkt 7.30 Uhr habe ich mich mit meinen Personalausweis, mit Kontoauszügen der letzten drei Monate, meinen Mietvertrag, der Heizkosten- und Nebenkostenabrechnung sowie meinen Versicherungsnachweisen einzufinden.
Während ich noch am selben Abend alle Unterlagen zusammensuche, ordentlich abhefte, frage ich mich immer wieder, ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gibt, außer der, mich als zukünftige Harz-IV-Empfängerin durchs Leben zu mogeln. Nein, momentan nicht.
Der Duft von frischgekochtem Kaffee steigt mir in die Nase, als ich pünktlich um 7.25 Uhr durch den Gang der Arbeitsagentur husche. Vor dem Zimmer „Anmeldung“ bleibe ich stehen. Ich versuche, meine Aufregung in den Griff zu bekommen, hole noch mal tief Luft und klopfe an.
Es dauert geraume Zeit, bis jemand „Herein“ sagt.
Ich werde von einer freundlichen Dame begrüßt, die ohne großes Vorspiel meine Daten in den Computer eingibt. Sie stellt mir noch einige persönliche Fragen, die ich eifrig beantworte. Ich bin heilfroh, nicht abweisend behandelt zu werden. Anschließend werde ich in ein anderes Zimmer geschickt. Ich klopfe an. Niemand meldet sich. Aber da man mir versichert hat, dass jemand da sein muss, öffne ich einen Spalt weit die Tür und luge mit meinen Kopf hindurch. Die junge Dame, die an ihrem PC sitzt, blickt kurz auf und ermahnt mich mit gleichgültiger Stimme, vor dem Zimmer zu warten, bis ich aufgerufen werde.
„Ja, entschuldigen Sie bitte“, erwidere ich verlegen und setze mich auf einen der Stühle, die vor dem Zimmer stehen.
Der erste Eindruck hat keine zweite Chance, denke ich eingeschüchtert, während ich mich leise seufzend in Geduld übe und meine Umgebung im Auge behalte. Ich bin ganz allein hier, stelle ich verwundert fest. Außer einem jungen Pärchen mit Kinderwagen und den umherwieselnden Sachbearbeitern ist niemand zu sehen. Sollte mir das zu denken geben? Ich blicke auf die Uhr, die mir gegenüber an der Wand hängt. Ungeduldig verfolge ich den großen Zeiger, wobei ich mir überlege, wie ich mich der
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