Liebe im Schnee
seiner Stimme klang Mitleid, »wir gehen jetzt immer nach Poldingsruh. Das hat gute fünfzehn.«
»Vierzehnhundert«, sagte Frau Schulze abends am Telefon zu ihrer besten Freundin, »wie kann man bloß.«
Himmelsjoch sah sich bald einem sogenannten »echten Problem« gegenüber. Der Gemeinderat bedrängte den Leiter des Verkehrsbüros. Und dem platzte eines Tages der Kragen.
»Det is doch die Höhe!« schrie er und fiel vor lauter Erregung in seinen heimatlichen Dialekt zurück, »ick kann manchet, aber zaubern kann ick nich. Vierzehn sind nu mal vierzehn und keene fuffzehn. Is det klar?«
Diesmal war es keinem klar.
Wozu, dachten die Gemeindemitglieder, bezieht der Mann sein hohes Gehalt, frei Wohnung, frei Brennholz und die Tochter des Bürgermeisters?
Bevor sie dem Gedanken einer Absetzung nähergetreten waren, sagte der Verkehrsbüroleiter: »Oojenblick mal.« Und fuhr, weil er sich wieder beruhigt hatte, auf hochdeutsch fort: »Mir kommt da soeben ein Einfall.«
Der Einfall hieß später im Prospekt. »Berghotel >Edelweiß<. Hochklassiges Haus in höchster Lage (201a Meter mit höchstem Komfort. Hier sind Sie mit den Gipfeln auf du und du.« Eine Fußnote vermerkte: »Das Haus beherbergt die höchste Bowlingbahn der gesamten Ostalpen.«
»Es riescht so wie isch ein Baby war«, sagte Trine Hendricksen, als sie sich in einen der höchsten Liegestühle von Himmelsjoch sinken ließ.
»Wie«, fragte Jan Kiekebusch irritiert, »darf ich das verstehen, gnädiges Fräulein?« Er saß aufrecht auf der Kante seines Liegestuhls.
»Er sagt noch immer >gnädiges Fräulein<«, seufzte Trine und erklärte: »Isch habe als Baby immer Höhensonne bekommen, weil isch so krumme Beine hatte. Und so riescht es hier.«
Jan warf einen Blick auf Trines skibehoste Beine und stellte beruhigt fest, daß sich das gegeben hatte.
Auf der Doppelterrasse des »Edelweiß« lagen die Gäste wie Krebse auf dem Grill und rösteten still vor sich hin. Die Damen trugen Wattebäuschchen auf den Augen und Nasenschützer, was ihnen das Aussehen weiser alter Eulen gab. Die Herren trugen den Oberkörper entblößt und kratzten sich gelegentlich am spärlichen Brusthaar. Ab und zu verzog sich ein fettglänzendes Gesicht und murmelte: »Hello, Baby!« Oder: »Grüezi!« Oder: »Ma chérie, qu’est qu’il y a?« Oder einfach: »Morgen.« Die Kellner klapperten diskret mit dem Geschirr. Die Luft schien stillzustehen im Sonnenglast.
Es herrschte eine Atmosphäre wollüstiger Trägheit.
Trine genoß das alles sehr. Es war schön, neben Jan Kiekebusch zu sitzen und seinem Schweigen zu lauschen. Ihre Freundin Kirsten hatte das nicht so gemocht. Ihre Freundin Kirsten hatte den Jan wohl gar nicht richtig verstanden. Dann druselte sie ein bißchen ein.
»Keine Ahnung von Männern«, dachte sie laut.
»Wie bitte?« fragte Jan.
»Unskyld!« Trine fuhr hoch. »Entschuldigung, aber ich war in einem Traum.«
»Waren Sie mit Männern zusammen in Ihrem Traum?«
»Aber, Herr Kiekebusch...« Das Trinchen konstatierte voller Interesse, daß so was wie Eifersucht in seiner Stimme geklungen hatte.
»Wie wäre es, wenn Sie mich Jan nennten«, unternahm
Kiekebusch einen überraschenden Vorstoß und erschrak dabei.
»Ja, ja, Jan«, antwortete Trine, was nicht gerade melodisch klang, »und Sie sagen auf misch Trine?«
»Fräulein Trine, ich...«
»Trine ist genügend.«
»Trine, ich würde Ihnen gern mehr von mir erzählen. Ich bin da ja nun im ganzen eigentlich überhaupt für die Ehrlichkeit. Und meine alte Dame hat immer gesagt..., aber das gehört ja vielleicht nun doch nicht hierher.« Er sah Trine unsicher an und bestellte noch zwei Viertele Roten. Er hatte heute seinen generösen Tag.
»Erzählen Sie mir alles«, sagte Trine und kriegte einen »Bammel«, wie sie in der Schule die Prüfungsangst genannt hatten. Jetzt, dachte sie auf dänisch, wird er ausführlich von Kirsten berichten. Laß dir ja nichts anmerken.
»Wissen Sie, es ist so«, begann er auch schon. Dann machte er eine Kunstpause. Und dann posamentierte er alles sorgfältig auseinander.
Also, die Kirsten, mit der sei er ja nur ein Jahr verlobt gewesen, das wisse ja Trine auch, es war ja man wohl ein bißchen früh, hatte ja gerade erst ihr Abiturium gemacht, das Mädchen, aber sein Chef, also sein Schwiegervater, was auf dasselbe hinauskäme in diesem Falle, mit einem Wort, der Konsul Bremer, der hatte sich das in den Kopf gesetzt, von wegen der Nachfolge. Die Bremers und die
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