Liebe im Schnee
Florian und starrte den entschwundenen Tieren nach. Er blickte zum Himmel, schnüffelte in der Luft herum und überlegte stirnrunzelnd.
»Was gibt’s denn, Maestro?« fragte Kirsten und stützte sich schnaufend auf ihre Stöcke.
»Die Viecher riacha’s Wetter zwoa Tag bevor’s kimmt.
Wenn die nunter genga, nacha is grad a so, als wann der Barometer fallt.«
»Das Barometer ist aber nicht gefallen. Ich habe heute früh dagegengeklopft. Außerdem haben wir doch das herrlichste Wetter.« Sie streckte die Arme weit aus und wies mit den Handflächen auf den Himmel.
»Ja mei«, meinte Florian. Er schien keineswegs überzeugt von Kirstens Argumenten. Dann drehte er sich wortlos um und glitt wieder in die Spur. Einen Hang ging es hinauf. Sie gingen ihn schräg an und legten immer wieder neue Kehren ein. Im oberen Teil wurde er so steil, daß nur noch Treppenschritte halfen. Sie erreichten den Kamm und wanderten ihn entlang. Der Kamm wurde schmaler und schließlich zum Grat.
»Hier heißt’s Obacht geben!« rief der Florian, »auf die Wächten.«
Wächten sind Balkone, die der Wind an die Felsengrate baut. Bis zu zwölf Meter lang können sie werden. Wer sich zu weit auf solche Balkone hinauswagt...
»Der fallt nunter«, erklärte der Florian, »daß koa Vaterunser mehr braucht.« Respektvoll mied er den Gratscheitel.
Im selben Moment traf sie der erste Windstoß. In Sekundenschnelle wurde der Wind stärker. Vom Westen her blies er grauweiße Wolken heran. Wie schmutzige Lappen segelten sie über den Himmel. Sie schoben sich zusammen, bildeten langgestreckte finstere Bänke und verdunkelten die Sonne. Langsam verschwanden die Gipfel in den Wolken. Es wurde häßlich kalt.
»Blöd!« sagte Kirsten. Sie schlüpfte fröstelnd in Pullover und Anorak. »Wie weit ist es denn noch bis zur Lärchenhütte, Florian?«
»Nix is mit der Lärchenhütten! Setz Kapuzen auf und z’ruck in der Spur! Und halt di zu mir, Madl! Jetzt kannst glei’ was derleben.«
Die letzten Worte hatte der Florian bereits schreien müssen. Aus dem Wind war ein Sturm geworden. Ein Sturm, der
Myriaden von Schneeflocken vor sich herpeitschte. Die Sicht sank auf fünfzig Meter, auf dreißig, dann senkten sich die Wolken auf sie herab und schlossen sie ein.
Sie stampften durch die eiskalte graue Waschküche. Der Sturm beizte ihre Gesichter. Der Himmel schien geborsten, so stark schneite es jetzt. Immer schwächer wurde die Spur, die sie beim Aufstieg in den Hang getreten hatten. Schließlich hörte sie ganz auf. Verweht...
Der Florian war stehengeblieben. Er setzte den Rucksack ab, öffnete ihn und wühlte darin herum. Er zog ein Seil heraus, rollte es auseinander und schlang das eine Ende um Kirstens Hüften. »Daß d’ ma net auskommst!« rief er. Das andere Ende behielt er in der Hand.
Sie kämpften sich weiter durch die Hölle aus Schnee, Wolken, Sturm und Nebel. Kirsten verlor jedes Gefühl für die Richtung. Sie wußte nicht, wo der Berg war und wo das Tal. Oben und unten, Nord und Süd, vor und zurück — alles schien aufgehoben in dem zähen grauen Brei, der sie umgab.
Stunden schienen vergangen, als der Florian ihr etwas zurief. Sie sah die Stange erst, als sie mit der Nase daraufstieß.
»Was ist das?« brüllte sie dem Florian ins Ohr.
»Markierung. Aber a uralte. Den Weg gibt’s scho’ lang nimmer.« Er wies mit dem Arm irgendwohin in den Nebel. »I glaub, da drüben geht’s weiter.«
Wieder schienen Stunden vergangen, als sie auf eine zweite Stange stießen. Der Florian untersuchte sie. Er richtete sich auf, kam ganz nahe an Kirsten heran und sagte: »Malefizsakramentbluatsauerei varreckte!!!«
Es war die Stange von vorhin.
Kirsten lachte. Dabei klapperten ihr die Zähne. Ihre Skihosen waren klatschnaß vom Schnee. Die Kälte kroch ihr den Rücken empor. Sie fühlte ihre Hände nicht mehr in den ledernen Fäustlingen. Und es schneite. Und schneite. Und schneite. Lautlos. Unendlich. Unaufhörlich. Das Ende der Welt schien gekommen.
»Ja, Herrgottsakrament, ‘naus müaß ma!« Der Florian hieb mit der Faust gegen die weiße Wand, die sie umgab. Er packte Kirsten an den Schultern. »I woaß, daß die Glocknerhiitten in der Näh’ is. Komm reiß die z’amm!«
»Ich kann nicht mehr...«
Sie stampften weiter. Irgendwohin. Jeder Versuch, sich zu orientieren, schien sinnlos. Kirsten stolperte. Sie fiel in den Schnee und blieb liegen. Es war schön, so zu liegen. Weich und warm wie ein Federbett war der Schnee. Wie ihr
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