Liebe im Zeichen des Nordlichts
hatte sie sich ein zusammengefaltetes Kissen unter den Kopf gelegt. Es war zwecklos. Sie spürte, wie sie wegdämmerte, und konnte nichts dagegen tun.
Bruno schaltete durch die Sender, voller Panik, etwas zu verpassen. Außerdem wollte er um jeden Preis verhindern, dass Addie etwas verpasste. Immer wenn sie eindöste, stupste er sie an, um sie zu wecken.
»Ich halte es nicht für lebensnotwendig zu wissen, für wen die Wähler in Maine gestimmt haben«, beschwerte sie sich schlaftrunken.
Aber Bruno wollte, dass sie jede Sekunde miterlebte. Es zeichnete sich bereits ein Trend ab.
Als er sie weckte, um ihr zu berichten, wie es in Pennsylvania stand, schlief sie sofort wieder ein. Er weckte sie noch einmal, um ihr von Ohio zu erzählen, worauf sie ein Auge öffnete und die Grafik auf dem Bildschirm betrachtete. Die Karte der Vereinigten Staaten war mit roten und blauen Blöcken bedeckt. Rot stand für die Republikaner, Blau für die Demokraten. Addie hatte den Eindruck, dass Rot überwog. Sie schlief wieder ein.
Als die Ergebnisse aus Iowa gemeldet wurden, öffnete sie erneut ein Auge. Bruno kauerte an der Sofakante. Er hatte die Fernbedienung in der Hand, als schaue er sich ein Fußballspiel an, und beugte sich vor, wie um mit seinem Gewicht den Lauf der Dinge zu beeinflussen.
Addie fühlte sich zittrig. Als ob sie Drogen genommen hätte, deren Wirkung nun nachließ, so dass der Kater einsetzte. Sie drehte sich um und richtete sich auf. Bruno warf ihr einen Blick zu, als habe er sie noch nie zuvor gesehen, und wandte sich wieder dem Fernseher zu.
South Dakota und Nebraska stimmten beide für McCain. Weitere rote Quadrate erschienen auf der Karte und bildeten eine Schneise, die über die untere Hälfte des Landes verlief. Die blauen Staaten wirkten klein und unbedeutend und drängten sich alle aneinander. Addie hatte den Eindruck, dass die Republikaner gewinnen würden, obwohl alle im Fernsehen das Gegenteil behaupteten. McCains Anhängern schwant Übles, hieß es. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Brunos Telefon begann zu hüpfen wie Popcorn in einem Topf, weil Dutzende von SMS eingingen. Bis jetzt hatte Addie gar nicht daran gedacht, dass er Freunde hatte. Sie wusste von seinen Schwestern, und wenn sie sich gründlicher damit beschäftigt hätte, hätte ihr klar sein müssen, dass es außer seiner Familie noch andere Menschen in seinem Leben gab. Mit jedem Piepser und jedem Vibrieren des Telefons auf dem Couchtisch machten sie sich bemerkbar. Sie wollten diesen Moment mit Bruno teilen. Er gehörte zu den Menschen, mit denen sie sich austauschen wollten. In Addie löste das ein Gefühl aus, als hätte sie ihn bereits verloren.
Um vier Uhr morgens meldeten die Sender, Obama habe die Wahl gewonnen.
Sofort wurde nach Chicago umgeschaltet, wo eine Menschenmenge außer Rand und Band geriet. Alle umarmten einander, weinten und schwenkten kleine amerikanische Flaggen vor dem dunklen Nachthimmel. Es war ein erhebender Anblick.
Bruno saß auf dem Sofa und starrte in den Fernseher, ohne sonst etwas wahrzunehmen. Er saß einfach nur da und sah zu. Tränen liefen ihm übers Gesicht.
Addie schlang den Arm um seine Taille, drückte ihn an sich und presste das Gesicht an seine Schulter. Sie war machtlos dagegen, dass das Gefühl sich auf sie übertrug. Man hätte ein Herz aus Stein haben müssen, um nicht mitzujubeln. Auch sie hatte Tränen in den Augen, und ihr Atem ging schneller. Allerdings herrschte Verwirrung in ihrem Kopf, und sie wusste nicht, ob sie froh oder traurig sein sollte.
Addie fühlte sich wie Henker, der soeben erfahren hat, dass die Todesstrafe abgeschafft worden ist. Sie wusste, dass gerade etwas Gutes geschehen war. Ob auch gut für sie, würde sich jedoch erst noch zeigen.
Es war sechs Uhr morgens, als sie endlich schlafen gingen.
Nach all den Feiern und nachdem sie zugesehen hatten, wie die Obamas, begleitet von den Jubelrufen der Menschen, auf die Bühne traten und vier lange, dunkle Schatten warfen. Nachdem sie sich die Reden und die Höhepunkte daraus wieder und wieder angehört hatten. Nachdem Bruno jeden angerufen hatte, den er kannte, und von unzähligen Leuten angerufen worden war. Erst dann legten sie sich ins Bett.
Erschöpft und überglücklich hatten sie langsamen und zärtlichen Sex. Sie sprachen beide kein Wort. Addie fragte sich, ob das der Abschied war. Sie hatte noch immer keine Antwort darauf gefunden, als sie einschlief.
Sie wachte vor ihm auf und versuchte, anhand des
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