Liebe in St. Petersburg
Schlitten war mit Stroh gefüllt, darüber hatte man Felle gebreitet, und in Felldecken wurde man auch dick eingewickelt. Man saß herrlich warm.
»'ne Pulle Kümmel, Herr Oberleutnant!«
»Du hast einen Geschmack wie ein Roßhändler, Luschek. Keinen Kognak?«
»Ick hatte nich erwartet, det der Herr Oberleutnant ooch eenen trinkt. Aber ooch an Kümmel kann man sich jewöhnen …«
Es wurde eine lange Fahrt. Fünf Tage waren sie unterwegs; nachts schliefen sie in den Posthaltereien, wo auch die Pferde versorgt wurden. Die Postmeister waren froh, etwas aus St. Petersburg zu hören, tischten Salzfleisch, Kohlgemüse und Gurken in Sauerrahm auf und küßten Gregor die Hand, wenn er ihnen zehn Kopeken Trinkgeld am nächsten Morgen beim Abschied gab.
Am dritten Tag sagte der Kutscher: »Euer Hochwohlgeboren, jetzt sind wir schon auf dem Besitz des Grafen Michejew …«
Sie kamen durch Dörfer, durchquerten Wälder, fuhren über das Eis zugefrorener Seen – noch zwei Tage lang. Und das alles gehörte Michejew! Es war ein Reichtum, der nicht mehr meßbar war. Und Grazina Wladimirowna war des Generals einzige Tochter; sie und ihr Mann würden das alles einmal erben …
Gregor kroch tief in die Felle hinein und zog einen Pelz über sein Gesicht. In dieser grenzenlosen Weite begriff er, daß für ihn ein neues Leben begonnen hatte. Wenn er einmal an Michejews Stelle stehen würde … Und er begriff plötzlich den Satz des Väterchens: »Mein Gott, warum müssen Sie ein Deutscher sein?« Die Erkenntnis tat ihm beinahe körperlich weh.
Gegen Mittag des fünften Tages fuhren sie mit klingenden Glöckchen an der Troika die Allee hinauf zum Herrenhaus von Trasnakoje. Gregor stand im Schlitten, sich an den Schultern und am vereisten Pelz des Kutschers festkrallend, und winkte mit der anderen Hand. Vom letzten Dorf aus war ihnen auf einem kleinen, struppigen Gaul ein Bauer vorausgeritten und hatte ihre Ankunft auf dem Landgut der Michejews in Trasnakoje gemeldet.
In einem bodenlangen Zobelmantel rannte Grazina mit ausgebreiteten Armen dem Schlitten entgegen, während der Kutscher fluchend an den Zügeln riß, um die den warmen Stall witternden Pferdchen zu bändigen.
Es gelang ihm, aber der Schlitten stürzte dennoch um. Gregor wurde hinausgeschleudert und fiel in den aufstiebenden Schnee.
»Du siehst es, ich liege dir zu Füßen!« sagte er, als Grazina ihn erreicht hatte und neben ihm in die Knie sank. »Wie kann es anders sein?«
Wer hat schon einmal einen russischen Kutscher der Zarenzeit fluchen hören?
Man muß starke Nerven haben, um es auszuhalten, und man darf sich nicht an Worten stoßen, die man sonst nirgendwo auf Erden hört und die selbst hartgesottenen Männern unter die Haarwurzeln fahren.
Gregors Kutscher war noch ein Poet unter den Pferdelenkern. Was er an Flüchen brüllte, als er unter dem umgestürzten Schlitten hervorkroch, bewies einen Wortreichtum seltener Größe. Neben ihm kroch der Obergefreite Luschek aus dem Stroh, das beim Umkippen des Schlittens in den Schnee geschleudert worden war. Ein Koffer war aufgeplatzt, und in der verstreuten Unterwäsche Gregors stampften die drei Pferdchen herum, zitternd, dampfend in der Kälte und große Dunstwolken schnaubend. Eine Deichsel war gebrochen, die Vorderwand war eingedrückt – wer kann es dem guten Kutscher übelnehmen, daß er seinen Vorrat an Schimpfworten einmal an den Mann brachte?
Da es unmöglich war, die hochwohlgeborene Comtesse für dieses Unglück verantwortlich zu machen, brüllte der Kutscher auf die armen Gäulchen ein, hieb sie mit der Faust, nannte sie Hurenbälge … Kurz, er bemühte sich rechtschaffen, die unruhigen Tiere noch aufgeregter zu machen.
Luschek sammelte des Oberleutnants Unterwäsche auf, hinkte ein wenig auf dem linken Bein und schielte hinüber zu seinem Herrn, der noch immer vor Grazina Wladimirowna im Schnee lag. Sie hatte seinen Kopf umfaßt und an sich gedrückt, während sie noch immer aus voller Kehle lachte. Der Kutscher wurde immer wütender und ergoß seinen ganzen Groll über die armen Pferde.
»Willkommen auf Trasnakoje!« sagte Grazina, und die Tränen liefen ihr über die von der Kälte und dem Lauf geröteten Wangen. Sie konnte vor Lachen kaum weitersprechen. »Wenn Mama am Fenster steht und dich so sieht, hat sie den besten Eindruck von dir …«
»Bestimmt steht sie am Fenster!« Gregor stand auf, klopfte den Schnee von seinem Pelzmantel und blickte hinüber zum Herrenhaus. Ein paar Diener
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