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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gregor eingekreist. Zwei, drei hielten sein Pferd fest, unzählige Hände krallten sich in Gregors Uniform, zogen und rissen an ihr. Sie brüllten die Marseillaise, sie achteten nicht darauf, daß der deutsche Offizier mit seinem Degen zuschlug, sie zogen Gregor aus dem Sattel, warfen ihn zu Boden und hieben und traten auf ihn ein.
    Fünf andere Studenten hielten Grazinas Pferd fest und lachten laut, als sie um Hilfe rief. Ohnmächtig mußte sie zusehen, wie die Menge Gregor halb totschlug.
    Erst als er sich nicht mehr rührte, wichen die Männer zurück. Blutüberströmt lag Gregor im Staub, Arme und Beine weit von sich gespreizt, als habe man sie ihm auseinanderreißen wollen. Der große Student mit den stechenden Augen kam hinüber zu Grazina, der man die Peitsche abgenommen hatte und die noch immer festgehalten wurde.
    »Euer Hochwohlgeboren«, sagte er spöttisch. »In dieser Zeit mit einem Deutschen herumzuhuren, ist Verrat! Aber was kümmert das die feinen Dämchen? Es lebe Rußland! Es lebe die neue sozialistische Welt! Los, wiederhole es!«
    Er nahm die Peitsche, die man Grazina abgenommen hatte, und tippte damit gegen ihre Brust. Sie schlug mit der Faust die Peitsche beiseite und starrte bleich auf den reglosen, blutenden Gregor.
    »Sprich es nach, Hürchen!« schrie der Student.
    »An den Galgen mit dir!« sagte Grazina laut.
    »Auch ein Wort! Aber das falsche, Herzchen! Das sind Worte aus einer überlebten Zeit! Sprich es nach: Es lebe die neue sozialistische Welt!«
    Der Student ließ die Peitsche über ihrem Kopf schwirren und schlug zu, zunächst auf Grazinas Beine, aber es war ein Schlag, der wie Feuer brannte.
    »An den Galgen!« schrie sie und ballte die Fäuste.
    »Sprich es nach. Vögelchen!« sagte der große Student heiser. »Ich habe Zeit, aber deine Schönheit leidet darunter! Wenn ich bei deinem Gesicht angelangt bin, gibt dir kein Straßenkehrer mehr zehn Kopeken, damit du in sein Bett steigst! Los! Ich will es hören aus deinem Aristokratenmündchen: Es lebe die neue sozialistische Welt! Ist das so schwer für eine Hochwohlgeborene? Na, wie ist es?«
    Er schlug wieder zu, diesmal auf Grazinas Taille. Die lederne Schnur peitschte durch den Seidenstoff. Grazina spürte, wie ein Striemen auf der Haut aufquoll.
    »Nun sprich es doch endlich nach, Herzchen«, meinte einer der Studenten, die das Pferd festhielten. »Er macht es wahr. Er peitscht dir die Kleider vom Leib.«
    »Weiter!« Der große Student ließ die Peitsche knallen.
    Grazina starrte Gregor an. Er bewegte sich zuckend, sein Mund klappte schauerlich auf, seine Brust rang nach Luft – dann stöhnte er laut und krallte die Finger in die Erde. Er stirbt! schrie es in ihr. Er stirbt, wenn ihm jetzt keiner hilft! Nur ich kann ihn noch retten … Hier ist keiner mehr, der Mitleid mit ihm hat …
    »Es lebe …«, sagte sie mit heller Stimme.
    »Weiter, Hürchen!« Der große Student ließ von neuem die Peitsche über sie hinwegknallen, der Fahnenträger schwenkte seine rote Fahne.
    »… sozialistische Welt.«
    »Sie hat es gesagt«, meinte einer der Studenten. »Nun laß sie gehen, Pjotr!«
    »In den Staub mit allen Feinden der Revolution!« rief der große Student, riß die Fahne an sich, drückte einen Kuß auf das Tuch und zeigte mit ausgestrecktem Arm über die Insel. »Vorwärts, Genossen! Sie warten auf uns …«
    Grazina rutschte aus dem Sattel und lief zu Gregor. Niemand hinderte sie mehr daran. Die Studenten formierten sich zu einer Kolonne und marschierten die Allee hinunter.
    Sie kniete neben ihm im Staub, hob seinen blutenden Kopf hoch und küßte seine aufgeschlagenen Lippen. »Gregorenka …«, stammelte sie. »Hörst du mich? Mein Liebling, mein tapferer Liebling! Sieh mich doch an, nur einen einzigen Blick … Hörst du mich?«
    Gregor nickte. Alles in ihm brannte, ihm war, als läge er in Flammen. Mit größter Mühe schlug er die Augen auf, aber er sah Grazina nur verschwommen und sank dann wieder in sich zusammen. Er fühlte, wie sie unter seine Arme griff und sich anstrengte, ihn wegzuschleifen. Sie schaffte es nur ein kurzes Stück, dann mußte sie ihn wieder auf die Erde zurücksinken lassen.
    »Nur noch … ein paar Minuten …«, stöhnte er und wußte nicht, ob sie ihn überhaupt verstand. »Dann geht es schon wieder. Wenn ich nur Luft bekäme … Luft … Luft …«
    Sie riß ihm die zerfetzte blutgetränkte Uniform über der Brust auf und schluchzte auf, als sie die Wunden sah, die man ihm geschlagen hatte.

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