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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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herumtragen müßte!«
    »Die rote Fahne! Genossen!« Michejew hieb mit der Faust auf seine Knie. Er sah dabei Anna Petrowna an, als wolle er sie mit seinem Blick durchbohren. »Das ist also die neue Zeit, mit der du sympathisierst! Genossen nennen sie sich, dabei sind es Schläger, hinterhältige Hunde, feige Kreaturen! Was soll aus Rußland werden? Täglich lasse ich die Studenten verhören … Sie wissen angeblich von nichts, dieses Saupack!«
    Anna Petrowna schwieg. Sie war seit drei Tagen und drei Nächten bei Gregor, schlief auf dem Sofa neben ihm, kühlte seinen Körper, wusch ihn, gab ihm zu trinken, verband die Wunden, strich heilende Salbe darüber, und fütterte ihn mit kräftigenden Suppen wie ein Kind.
    Grazina fuhr täglich zur Universität. Stundenlang saß sie dort auf einem Sessel im Treppenhaus, umgeben von Polizisten und Offizieren, und ließ einen Studenten nach dem anderen an sich vorbeiziehen. Und immer wieder schüttelte sie den Kopf.
    »Nein, nein, das war er nicht, den sie Pjotr genannt haben. Nein! Er ist nicht dabei …«
    »Vielleicht erkennen Sie ihn nicht wieder!« sagte der Rektor der Universität. Eine leise Hoffnung klang aus seiner Stimme. Er wußte, was den jungen Mann erwartete, wenn Grazina ihn identifizieren würde. In der Peter-und-Paul-Festung würde man ihn an einen Pfahl binden und erschießen. »Vielleicht war es ein Student aus einer anderen Stadt …«
    »Er trug die Petersburger Uniform!« sagte Grazina fest. »Und ihn nicht wiedererkennen? Dieses Gesicht ist mir eingebrannt! Ich werde es nie vergessen – und ich will es auch nicht vergessen!« Plötzlich brach etwas in ihr auf, was selbst Michejew erschauern ließ … die Wildheit ihrer georgischen Natur. »Ich werde keine Ruhe haben«, fuhr Grazina fort, und ihre Stimme klang hart wie noch nie, »bis ich dieses Gesicht unter den Absätzen meiner Stiefel sehe …«
    »Wir werden ihn entdecken, Comtesse.« Einer der jungen Offiziere stand stramm. »Das Offizierscorps der Garde verspricht es Ihnen. Auch wenn Gregorij Maximowitsch ein Deutscher ist.«
    »Er ist ein Mensch!« schrie Grazina und sprang auf. Die Offiziere sahen betreten zu Boden; Michejew wollte Grazina zurück in den Sessel drücken, aber sie schüttelte seine Hand ab. »Oh, wie mich das alles anwidert! Hier ein Russe, da ein Deutscher, dort ein Franzose, und drüben ein Engländer. Warum kann ein Mensch nicht einfach ein Mensch sein?« Sie wirbelte zu ihrem Vater herum, der, sichtlich verlegen, bemüht war, durch Gesten anzudeuten, daß die Nerven seiner Tochter völlig zerrüttet seien. »Ist dein russisches Blut anders als deutsches Blut? Sind deine Schmerzen, wenn man in deinen Leib sticht, anders als deutsche Schmerzen? Was seid ihr bloß für Menschen?«
    Sie wandte sich ab, gab dem Sessel einen Stoß, daß er krachend umstürzte, und verließ die Universität. General Graf Michejew stand mit rotem Kopf da und schämte sich seiner Tochter.
    »Meine Herren«, sagte er mit rostiger Stimme, »ich werde meine Tochter nach dem Abklingen ihrer seelischen Erkrankung anhalten, sich bei Ihnen zu entschuldigen. Wir setzen die Suche nach dem roten Studenten fort. Jeder, der größer ist als einsachtzig, ist verdächtig und wird zunächst arretiert!«
    »Das ist sie«, sagte der Student Pjotr, als Grazina aus der Universität stürzte und in die Kutsche einstieg, die vor dem Gebäude wartete. Pjotr trug jetzt Zivil. Er sah aus wie ein Handwerker und hockte mit zwei anderen Kameraden vor einer Toreinfahrt, von der aus man die Universität ungehindert beobachten konnte. »Sie hat unsere Köpfe in ihrer Hand. Man sollte nicht so lange warten, bis sie sie uns abschlagen läßt!«
    In der kommenden Nacht, der Nacht vom 28. zum 29. Juli 1914, beschossen österreichische Batterien die serbische Hauptstadt Belgrad. Mit der Detonation der ersten Granate war das Schicksal der Welt besiegelt: Es gab kein Zurück mehr. Das große Völkermorden begann.
    Hauptmann von Eimmen besuchte Gregor im Michejew-Palast. Es war der erste Tag, an dem das Fieber etwas zurückgegangen war. Gregor saß im Bett, von dicken Kissen und Grazina gestützt, und trank in kleinen Schlucken schwarzen Tee.
    »Ich sehe, daß du wieder transportfähig bist«, sagte von Eimmen. »Dem Himmel sei Dank! Wir müssen dich sofort in die Botschaft bringen. In den nächsten achtundvierzig Stunden wird die Entscheidung fallen!«
    »Gregor bleibt hier!« sagte Grazina, ehe Gregor antworten konnte. »Er bleibt hier

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