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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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durch Deutschland, von deutschen Lokomotiven gezogen, mit Billigung der deutschen Regierung, die hofft, daß Lenins Erscheinen in Rußland die Entscheidung des Krieges ist.
    Am 17. April hält Lenin seine berühmte Rede mit den ›Aprilthesen‹: Beendigung des Krieges, Republik der Arbeiterräte, Nationalisierung des gesamten Bodens, Kontrollen über die Produktion, Verteilung durch die Sowjets …
    Jerschow hatte sich inzwischen in Tobolsk aufgehalten. Dort ließ er auf dem Gebäude der Distriktsregierung die rote Fahne hissen, warf die zaristischen Beamten in die Gefängnisse und übernahm die Regierungsgewalt. Er nannte sich Kommissar, trug eine schwarze Lederjacke und eine Lederkappe, eine rote Binde um den linken Oberarm und einen schweren Naganrevolver schußbereit im Gürtel. Aus desertierten und meuternden Soldaten, alle mit roten Binden um den Armen, bildete er eine Privattruppe und zog durch das Land, um die Großgrundbesitzer, die Adligen und alle, die auf den Listen der Revolution standen, zu verhaften.
    »Was sollen wir tun?« fragte Tujan. »Flüchten oder kämpfen?«
    »Wir bleiben hier!« sagte Wanda Timofejewna stolz. »Ich möchte den sehen, der mich aus dem Haus treiben kann!«
    Am 13. November, sechs Tage nach der endgültigen Oktoberrevolution – man muß wissen, die Russen haben da einen eigenen Kalender – kamen die Truppen Iwan Iwanowitsch Jerschows mit sechzehn Lastautos auch in die Gegend von Nowo Prassna. Der Ruf flog ihnen voraus, alles zusammenzuschlagen und alle Reichen umzubringen. Den Grafen Semjekanow hatten sie an die Tür seines Schlosses genagelt, bei lebendigem Leib!
    »Laß ihn kommen, diesen Jerschow!« sagte Wanda grollend. »Er wird's schwerlich fertig bringen, auch mich an die Tür zu nageln …«
    Wanda Timofejewnas Optimismus in allen Ehren – im weiten Land am Tobol war man nicht so sehr davon überzeugt, daß die Bolschewiki gerade vor dem Besitz der Prochkows haltmachen würden, um sich dort ein Schweinchen braten zu lassen, ganz normal, gewissermaßen als Gäste der Kapitalisten. Nicht nur in Pestrawka, erst recht in der Kleinstadt Winchograd, überall also krochen jetzt die Kommunisten hervor, das heißt, sie zeigten frei ihre Gesinnung, was oft recht verwunderlich war.
    Da gab es einen Postbeamten, einen braven Familienvater, der wegen einer verbogenen Wirbelsäule nicht Soldat zu werden brauchte und weiter Post austrug. Ein stilles Männchen mit sieben Kindern – und plötzlich wird er wild, schwenkt eine rote Fahne, besetzt das Postamt, spuckt seinem Vorsteher ins Gesicht und erklärt, die Post sei jetzt sozialistisch und nicht mehr Zareneigentum!
    Oder der Bäcker Tujanowitsch, ein massiger Kerl mit Plattfüßen – auch das reichte zur Befreiung vom Militär! –, backte plötzlich nicht mehr sein immer glitschiges Brot, sondern künstlerische Gebilde, die einen Hammer und eine Sichel darstellten und von denen er behauptete, das seien die Symbole einer neuen Zeit!
    Überall Kommunisten! Was war aus der Welt geworden?
    Der Pope Tujan ließ zunächst vorsichtshalber die Glocke läuten – und zwar Alarm, wie er es sonst nur bei Feuer oder Hochwasser tat. Die Kirche wurde brechend voll, komischerweise auch mit Kommunisten, und Tujan hielt eine Predigt, die darin gipfelte, daß sich jeder überlegen könne, was besser sei: Vor den Bolschewiki zu flüchten oder sich zu bewaffnen und sie zu bekämpfen. Nur aus Liebe zu Gott und Seiner ewigen Kirche …
    Die Bewegungen der Bolschewiki im Land wurden genau beobachtet und an Wanda Timofejewna gemeldet. Jerschow und seine Mannen mußten nach den Berichten wie Wilde hausen, sie verhafteten und ließen nach Tjumen oder Tobolsk abtransportieren, brannten Güter nieder, überrannten Militärdepots und besiegten reguläre noch zaristische Truppen, weil das Bauernvolk ihnen im Rücken der Soldaten half.
    »In zwei Tagen müßte Jerschow hier sein!« sagte Tante Wanda. Im großen Stall stand eine Kutsche fahrbereit. Tschugarin wollte seine Witwe Larissa verlassen, und auch Luschek nahm laufend Abschied von seiner süßen Latifa. »Ich bin dafür, daß ihr mit der Kutsche zur nächsten Bahnstation fahrt und dort einen Zug nach Jekaterinburg nehmt. Von dort fahrt ihr mit dem Expreß nach Osten. Bis Wladiwostok kommt kein Bolschewist!«
    »Wenn wir nur Nachricht von Mama hätten«, sagte Grazina. »Sie hat doch so auf die Revolution gewartet …«
    Wanda Timofejewna lachte rauh. »Anna Petrowna ist Georgierin! Sie hat es nie

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