Liebe in St. Petersburg
Hand und sagte mit dunkler Stimme: »Mütterchen, der Herr ist bei dir …«
Das war zuviel für Jewdokija Surabjewa. Die Sinne verließen sie.
»Was für eine dumme Person!« sagte Tujan, der Pope. Er stieg über die Ohnmächtige hinweg, ging in die Küche, fand ein Tuch, mit dem er sich abtrocknen konnte, sah Männerkleider an einem Nagel hängen, zog sie an, obwohl sie ein wenig eng in den Schultern waren, stieg über die reglose Jewdokija hinweg wieder ins Freie, ging hinüber zum Stall, fand dort einen Maulesel und zerrte ihn heraus. Dann schwang er sich auf den Rücken des Tiers, hieb ihm die Hacken in die Flanken und ritt davon, nach Nasjarewo, um das Militär zu alarmieren. Der Maulesel fiel in einen zockelnden Trab, zu mehr war er nicht zu animieren, weder durch Zurufe, Fausthiebe oder Tritte in den Leib.
Nach geraumer Zeit wachte Jewdokija auf. Sie fand sich unverletzt auf dem Boden liegen, weder entkleidet noch geschändet, tastete sich ab, fand alles in Ordnung und setzte sich dann verwundert an den Herd, um alles noch einmal zu überdenken. Es muß der Satan gewesen sein, meinte sie schließlich. Der nackte Satan! Sie nahm sich vor, gleich am nächsten Morgen mit dem Maulesel zur nächsten Kirche zu reiten und den Popen um seinen Segen zu bitten …
Munter ritt Tujan weiter. Es war alles nur ein Trick gewesen … Keine Kugel hatte ihn getroffen, aber er hatte sich in den Fluß fallen lassen, als sei er tot. Dann war er abgetrieben, hatte sich schwimmend der Kleidung entledigt, um schneller weiterzukommen, und erst als er die einsame Fischerhütte am Tobol sah, war er an Land geschwommen.
Noch heute schwört Jewdokija Surabjewa, daß sie dem nackten Satan begegnet sei, und nur, weil sie in Ohnmacht gefallen sei, habe er mit dem Maulesel vorliebgenommen.
In Nasjarewo löste das Erscheinen des Popen größte Aufregung aus. Die Soldaten griffen zu den Waffen, spannten zwei Bauernwagen mit je vier Pferden an und jagten durch die Nacht zum Fluß. 25 Reservisten, die froh waren, endlich mehr zu tun, als das unterirdische Ding, über das man nicht sprechen durfte, zu bewachen, waren es, und sie hatten sogar ein Maschinengewehr mitgenommen und einen Granatwerfer, mit dem man röhrenförmige Geschosse abfeuern konnte, die zerplatzten und überall kleine Bleikugeln verspritzten.
Es gab eine kleine Schlacht am Fluß, im Morgengrauen, und weil das Schießen so schön war, ließen die Soldaten ihren Granatwerfer krachen, auch hinüber zum anderen Ufer, wo die zweite Gruppe Blatnjaki in Deckung lag. Die drei auf der Sandbank mußten unter das Boot kriechen, denn die Schrapnellkugeln regneten …
Sieben Halunken lagen endlich erschossen herum, die anderen flüchteten auf ihren Pferden, und Tujan sagte feierlich, als Gregor, Grazina und Jerschow befreit waren:
»Wie danke ich Gott! Ich habe schon geglaubt, ich käme zu spät und Lenin wäre vor mir da …«
Wer kann es Jerschow übelnehmen, daß er den Popen nicht nur dankend auf die Wangen küßte, sondern ihn anschließend in die Nase biß?
XIII
Von diesem Tag an blieb es ruhig in Nowo Prassna. Ein paarmal kam Post aus Trasnakoje von Anna Petrowna. Sie berichtete vom Untergang der Njemen-Armee bei den Masurischen Seen – wieder war es dieser schreckliche Hindenburg, der fast 100.000 Russen gefangennehmen ließ –, aber General Michejew war es gelungen, der Gefangenschaft zu entgehen. Er saß nun ohne Armeekorps herum, wartete auf neue Truppen und war ungenießbarer als je. Rasputin war nach St. Petersburg zurückgekommen, aber auch er konnte die Katastrophe nicht aufhalten. Dafür regten sich überall im Land die Kommunisten und Sozialisten, und die Agitatoren redeten offen vom Untergang des Zarentums. Anna Petrowna nannte es ›Signale einer neuen Zeit‹.
»Bis jetzt weiß niemand, wo ihr seid«, schrieb sie weiter. »Auch der General nicht. Er glaubt, daß ihr noch hier in der Gegend seid und man euch versteckt. Daß ihr über den Ural gekommen sein könntet und Sibirien erreicht habt, daran denkt keiner!«
Sie hatte den Brief mit dem Siegel der Michejews verschlossen und benutzte ein Kuvert des Generalstabs. So passierte es ohne Aufenthalt alle Kontrollen.
»Ich begreife das nicht!« sagte Wanda Timofejewna, als die Hiobsbotschaft von den Fronten kam. »Wie kann Rußland einen Krieg verlieren? Wir sind das größte Land der Welt, aber die Deutschen schaffen es! Gregorij Maximowitsch, als gute Patriotin müßte ich Ihnen jetzt eine Eisenpfanne über
Weitere Kostenlose Bücher