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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vergessen, daß es Weißrussen waren, die Georgien mit Blut erobert und dem Zarenreich eingegliedert haben. Hätten Sie es doch nie getan! Was kommt jetzt aus Georgien, he? Subjekte wie dieser Josef Wissarionowitsch Dschugaschwih, der sich Stalin nennt – ein Freund von diesem Lenin! – Kinder, fahrt zum Japanischen Meer!«
    Auch Gregor hielt es für besser, aber Grazina wollte bleiben. Was Tujan an Neuigkeiten mitbrachte, vor allem von dem jetzt so mächtigen Postbeamten mit der verbogenen Wirbelsäule, der durch seinen Telegrafen mit der weiten Welt verbunden war, besagte, daß es in ganz Rußland kein Gebiet mehr gab, wo nicht Bolschewiki auftauchten – vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer, von der Ukraine bis nach Kamtschatka.
    »Ist das eine Organisation!« sagte Tujan bewundernd. »Keiner hat etwas gemerkt oder sie für ernst genommen – und plötzlich sind sie die neuen Herren! Kontrollieren alles, sitzen in allen Verwaltungen, krempeln alles um! Selbst vor der Kirche haben sie keinen Respekt! Das alte Rußland ist tot!«
    »Es hat keinen Zweck mehr, an die Bahn zu fahren«, sagte nun auch Gregor. »Wir kämen nie durch die Kontrollen!«
    »So nicht, Gregorij Maximowitsch!« meinte Tante Wanda. »Rasier dich nicht mehr, wasch dich nicht mehr, steck dich in alte Bauernkleider, lerne Sonnenblumenkerne meterweit in die Gegend spucken und fluchen wie ein Schweinehirt … Dann kommst du durch! Und du, Grazinanka, wirst ein richtiges kleines Miststück von Bauernmagd, die man erst stundenlang in der Banja wässern muß, ehe man sie anpackt! Verdammt! Es bleibt nicht mehr viel Zeit …«
    Aber es war schon zu spät. Eines Nachmittags rückte Jerschow mit sieben Lastwagen in Nowo Prassna ein. Die anderen neun Lastwagen, alle voll wilder Kerle, die rote Armbinden trugen und gut bewaffnet waren, fuhren weiter nach Pestrawka und Winchograd. Kurz vor Pestrawka schossen sie zunächst in die Luft und dann zuerst auf die Kirche. Semjon Lukanowitsch Tujan, der Pope, warf sich auf sein Pferd, und er entkam gerade noch, bevor die Bolschewiki die Kirche stürmten und mit brüllendem Lachen die Ikonastase schändeten. Allerdings gelang ihm die Flucht nur, weil er Zivilkleider trug und so aussah, wie Tante Wanda es für Gregor vorgeschlagen hatte.
    Überall waren jetzt schon Straßensperren, und der dreckige Tujan schrie allerorts: »Unsere Genossen kommen! Bekränzt eure Häuser, Brüder! Sie kommen, sie kommen!«
    Jubel antwortete ihm, man ließ ihn durchreiten, warf ihm sogar Tabak und Schinken zu und wünschte ihm viel Glück. Ab und zu schämte Tujan sich. Als Priester war er eigentlich verpflichtet, in seiner Kirche zu bleiben, komme was da wolle … Aber nicht jeder ist zum Märtyrer geeignet, und außerdem hatte Tujan noch so viele Ideen für die Zukunft und die Bekämpfung der Kommunisten, die er sich nicht aus dem Kopf schlagen lassen wollte.
    Jerschow also fuhr mit seinen sieben Lastwagen und johlenden Kameraden vor dem Herrenhaus auf. Doch entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit sprangen die Männer nicht von den Wagen, sondern blieben singend darauf stehen und schwenkten ihre roten Fahnen.
    In den Scheunen, das wußten sie nicht, lagen 45 Bauern mit schußbereiten Gewehren. Gregor befehligte sie. Luschek stand mit einer Art Stoßtrupp bereit, um von der linken Flanke zu kommen. Tschugarin, der einmal bei der Artillerie gedient hatte, hockte mit zwei Granatwerfern in einem am Flußufer gegrabenen Loch und wartete auf ein Zeichen.
    Jerschow war der einzige, der den Lastwagen verließ. Er wunderte sich, daß alles so still blieb und die Revolution in Nowo Prassna offenbar gar keinen Eindruck machte. Um das zu ändern, klopfte er nicht wie früher an die Tür des Hauses, sondern schoß auf das Schloß, trat dann die Tür auf und stampfte mit seinen schmutzigen Stiefeln in die Halle.
    Dort wartete Wanda Timofejewna und rauchte eine ihrer dicken Zigarren. Böse sah sie Jerschow an. Der blieb stehen und ließ seinen schweren Revolver, eine Nagan, um seinen Zeigefinger rotieren.
    »Ist das ein Zirkus, he?« brüllte Tante Wanda. »Steck das Knallding weg und sag mir, wer die Tür repariert! Wo hast du das gelernt? In Genf? Bei Lenin? Deine Lehrer würden schamrot werden, wenn sie das hier sehen würden!«
    »Warum sind Sie noch hier, Wanda Timofejewna?« fragte Jerschow heiser.
    »Warum sollte ich weg sein?«
    »Wenn ein anderer als ich gekommen wäre, dann …«
    »… dann hätte ich jetzt ein paar Kugeln im Leib, nicht wahr?

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