Liebe in Zartbitter
gedämpfte Stimme.
„Entschuldigen Sie, Monsieur, gehen Sie mir aus dem Weg. Schnell bitte!“
Der junge Mann, der neben ihn getreten ist, hat den Arm voller Akten, die sein Gesicht verbergen und die er mühsam balanciert. Vergeblich. Eine rutscht ihm zu Boden, eine zweite hinterdrein. Aufheben kann er sie nicht ohne den restlichen Stapel zu gefährden.
Hilfsbereit bückt sich André de Marville nach den Ordnern.
Bevor er sich jedoch wieder aufrichten kann, erhält er einen Schlag auf den Hinterkopf und geht in die Knie, dann wird es dunkel um ihn herum.
Pascha? Elena starrt ungläubig aus dem Fenster, doch es ist kein Irrtum. Der junge Mann, der vor dem Hoteleingang auf- und abmarschiert, ist kein anderer als ihr Verlobter. Ihr Herz schlägt freudig erregt. Hat er es also doch einrichten können, und nun steht er vor ihrem Hotel.
Ungeachtet des verbundenen Knöchels stürzt sie zum Fahrstuhl, dann an der Rezeption vorbei. Als sich das Glasportal öffnet, kehrt er ihr den Rücken zu.
Lautlos tritt sie hinter ihn, hält ihm die Augen zu.
Mit einem Ruck wendet er sich halb um. Durch die kleinen Damenfinger hindurch erkennt er einen kupferblonden Wuschelkopf.
„Sind Sie jetzt völlig übergeschnappt, Fräulein Bauer? Was soll das?“, schnaubt er und befreit sich unsanft aus den ihn umschlingenden Armen.
„Aua, Pascha, du tust mir weh!“
Hendrik Würtz erstarrt zur Salzsäule. Das ist doch nicht möglich, denkt er und betrachtet die junge Frau vor ihm wie einen Geist. „Elena? Du?“
„Wer sonst?“, schmollt die und tritt einen Schritt zurück. „Gefalle ich dir etwa nicht mit meiner neuen Frisur? Ist allerneuester Chic – aber wer ist dieses Fräulein Bauer?“
Misstrauisch starrt sie ihren Verlobten an, bricht dann aber über seinen Gesichtsausdruck in perlendes Gelächter aus.
„Wenn du dich sehen könntest! Nun komm schon oder willst du ewig vor der Tür stehen bleiben? Meine Suite ist sehr bequem, Schatz.“
Würtz steht noch immer wie vom Donner gerührt.
„Du wohnst auch hier?“, fragt er ungläubig.
„Was heißt auch?“
Erneut steigt Argwohn in Elena auf. Ist der Verlobte gar nicht wegen ihr zum Hotel gekommen?
„Wer noch? Dieses Fräulein Bauer vielleicht?“
„Ja, ja, die auch“, bestätigt der vorgebliche Reiseleiter gedankenlos. Er ist noch nicht darüber hinweg, dass vor ihm nicht Lena Bauer steht, sondern seine Verlobte. Er wird Elena einiges erklären müssen.
„Och, da bisste ja, Kleene. Ick hab‘ mir schon Sorjen jemacht. Haste den Schlüssel?“ spricht Fritze, der gerade aus der Kneipe kommt die vermeintliche Lena an. Erst dann bemerkt er den Reiseleiter. Verdammt, sagt er sich verlegen, der Heini soll doch nüscht davon erfahren.
„Kannst ihn mir morjen früh beim Frühstück jeben, Lenchen“, flüstert er ihr zu und verschwindet in Richtung Fahrstuhl.
Würtz schaut unbehaglich drein, Elena überrascht. Sie begreift noch immer nicht, was abläuft.
„Komm bitte mit in meine Suite und hilf mir zu verstehen, was hier gespielt wird“, fordert sie energisch. Ihre wasserblauen Augen funkeln, als sie den jungen Mann zum Aufzug zieht.
Der macht keine Anstalten sich zu sträuben, sondern überlegt blitzschnell, was er der erzürnten Elena sagen darf, um sie zu beruhigen. Um alle Karten auf den Tisch zu legen, dazu ist es jedenfalls noch zu früh.
XXII.
Es dauert eine Weile, bis ich mit Fritzes Schlüsseln klarkomme. Bei meinem kleinen Flitzer genügt ein Knopfdruck, der die automatische Zentralverriegelung aktiviert. Bei diesem Bus, der nicht das allerneueste Modell zu sein scheint, ist das Auf- und Zuschließen etwas komplizierter. Doch ich habe es geschafft.
Ohne das Licht einzuschalten sehe ich mich im Innern des Busses um. Wie erwartet liegt die Handtasche auf dem Sitz, jedoch unter meinem wollenen Tuch verborgen. Da konnten sie weder Fritze noch Würtz entdecken.
Ich lasse mich auf den Sitz plumpsen, ziehe den Reißverschluss auf und greife nach dem Handy. Ein Blick auf das Display verrät mir, dass fünf Anrufe in Abwesenheit eingegangen sind – drei, von denen die Answalts gesprochen haben, die anderen beiden von Würtz, vermute ich. Ist ja auch egal. Jeder Rückruf hat sich längst erübrigt.
Während ich sie aus dem Speicher lösche, kuschele ich mich in das Polster. Am liebsten würde ich die Nacht hier verbringen, zugedeckt mit dem Tuch. Allein, in völliger Ruhe und Abgeschiedenheit, in der Frühe geweckt durch den Gesang der
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