Liebe in Zartbitter
was Sie sagen. Alles Weitere klären wir in Deutschland.“
Mit einem Zug trinkt er sein Bier aus. „Und jetzt dürfen Sie sich zurückziehen. Gute Nacht!“
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ohne das Kirschbier auszutrinken, springe ich auf und stürze aus dem Speisesaal ins Freie. So schnell lasse ich mich nicht einschüchtern, trotzdem muss ich diese Drohung des angeblichen Reiseleiters in Ruhe verdauen.
Wer zum Teufel ist dieser Hendrik Würtz?
Nachdem ich die Straße vor dem Hotel einmal hinauf- und einmal hinab gelaufen bin, finde ich langsam wieder zu mir. Es beginnt zu dämmern und mit dem Verschwinden der Sonne wird die Luft merklich kühler.
Was soll ich jetzt tun? Die Standpauke hinnehmen und morgen früh so tun, als ob nichts gewesen wäre? Die restlichen drei Reisetage irgendwie überstehen, meine Pflichten erfüllen und diesem Kerl möglichst aus dem Wege gehen?
Wenn ich mir wenigstens sicher wäre, dass dieser Würtz tatsächlich nur ein Aufschneider ist, ginge es mir bedeutend besser. Doch ein unbestimmtes Gefühl rät mir, vor dem Mann auf der Hut zu sein.
Auf dem Weg zurück ins Hotel, sehe ich durch das Fenster einer Kneipe Fritze. Leider ist er nicht allein, plaudert mit einem jüngeren und einem etwa gleichaltrigen Mann. Wahrscheinlich Kollegen. Während ich noch überlege, ob ich ihm mein Leid klagen oder mich still und heimlich auf mein Zimmer schleichen soll, hat auch er mich entdeckt und winkt mich herein.
Der junge Mann bietet mir seinen Platz an und verabschiedet sich mit dem Kraftfahrergruß.
„Een netta Kolleje von de ‚Berlin-Tours‘“, brummt Fritze und winkt dem Kellner. „Aber nu is jenuch von de Arbeit. Komm, Kleene, trink ‘n Bierchen mit Vatan. Eent darf ick.“
„Bis später!“
Der zweite Kraftfahrer nickt ihm zu, verdrückt sich an die Bar und plaudert mit dem Mann hinterm Tresen.
Ich möchte Fritze gern mein Herz ausschütten, ihm vom Auftritt des Reiseleiters erzählen, aber etwas anderes brennt mir viel mehr auf der Seele. Meine Tasche aus dem Reisebus. Die brauche ich jetzt unbedingt, damit Würtz nicht zu guter Letzt dahinterkommt, dass ich ihn angelogen habe. Das wäre Wasser auf seine Mühlen.
Wenigstens Fritze ist guter Stimmung. Während ich an meinem Kirschbier nippe, erzählt er, was mir in der Schokoladenfabrik entgangen ist.
„Vakostung vom feinsten, Kleene. Da konnte selbst icke nich widastehn. Die hatten allet da: helle und dunkle Schokolade und die Jarnierung erst...“
Dunkle Schokolade. Ich spüre wie mir das Wasser im Munde zusammenläuft. Danke, das Erinnern daran, was ich versäumt habe, hat mir jetzt gerade noch gefehlt.
„Machst‘n fürn Jesicht, Lenchen?“ – Obwohl er es nicht weiß: Fritze ist der einzige, der mich ungerügt so nennen darf. – „Ick hab‘ natürlich an dir jedacht und een jroßen Beutel mitjebracht. Liecht allet im Bus.“
Das ist das Stichwort. Ich frage ihn, wo er den abgestellt hat.
„Uff’m Parkplatz am Park, keene fünf Minuten von hier“, antwortet er gemütlich und schmunzelt über beide Backen. „Willste etwa gleich ran an die Dinga, kleene Naschkatze.“
Ich setze ein gespielt beleidigtes Gesicht auf.
„Was denkst du von mir, Fritze? Die Schokolade läuft mir nicht weg, oder?“
Dann gestehe ich ihm, warum ich unbedingt noch zum Bus muss.
Er schüttelt besorgt den Kopf.
„Meechen, Meechen, ob det klug war? Der Schlips- und-Kragen-Heini is nich ohne. Det könnte Ärjer jeb’n.“
„Wenn ich meine Tasche wiederhabe und du mich nicht verrätst, sehe ich keinen Grund dafür“, werfe ich schnell ein.
Er zieht ein Bund mit Schlüsseln aus der Hosentasche, zeigt mir welchen ich benutzen muss und erklärt mir den Weg.
Als ich mich erhebe, trinkt er sein Bier aus und gähnt.
„Een bisschen Bewejung könnte mia ooch nich schaden. Vielleicht sollte ick lieba mitkomm‘.“
Der Kollege an der Bar schaut herüber. Wahrscheinlich will er seinen kleinen Schwatz mit Fritze fortsetzen. Männergespräche.
Ich winke ab.
„Bleib ruhig sitzen. Es ist doch gleich um die Ecke, da brauchst du keine Angst zu haben, dass ich mich verlaufe. Ich bin doch schon ein großes Mädchen.“
Bevor er widersprechen kann, bekommt er einen Schmatz auf die stachlige Wange, dann bin ich hinaus.
XX.
Der Schatten, den die Bäume vor dem Hotel werfen, verbirgt zwei Gestalten, die unruhig dessen Eingang beobachten. Das Licht der nächstgelegenen Laterne erreicht sie nicht. Rings um sie herum
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