Liebe in Zartbitter
scheint.
XXIV.
Fritzes Bus ist schon in Sichtweite, als ich Schritte hinter mir vernehme.
Ich drehe mich um, kann aber niemanden wahrnehmen, denn der Park ist nur spärlich beleuchtet. Vorhin hat mir das nichts ausgemacht, da war ich ganz mit meinem Zorn über diesen unmöglichen Hendrik Würtz beschäftigt.
Ich halte inne. Inzwischen muss es fast Mitternacht sein. Keine Zeit, in der eine Frau allein in einer unbelebten Gegend herumspazieren sollte. Nicht in Deutschland und schon gar nicht im Ausland.
So angestrengt ich auch lausche, es ist nichts mehr zu hören. Außer dem Rauschen der Bäume und dem Knirschen des kiesbestreuten Weges unter meinen Füßen hüllt mich Stille ein.
Deine Nerven sind überreizt, rede ich mir Mut zu, während ich das letzte Stück zum Bus zurücklege. Nach einem Tag wie heute wäre das kein Wunder. Wahrscheinlich habe ich mir die Schritte nur eingebildet.
Habe ich nicht. Doch das erfahre ich erst in dem Moment, als ich in den Bus eingestiegen bin.
Eine dunkel gekleidete Gestalt stürzt die Stufen hinauf, und ehe ich mich versehe, hat sie mir den Schlüssel aus der Hand gewunden. Bevor ich einen Laut ausstoßen kann, hält sie mir den Mund zu und drückt mich brutal auf einen Sitz nieder.
Im Handumdrehen bin ich angeschnallt, bekomme ausgerechnet mein Tuch um den Kopf gewunden, das Augen und Mund verdeckt. Es ist nicht besonders fest gebunden, ich könnte es herunterreißen und schreien, aber ich traue mich nicht.
Obwohl ich spüre, dass der Eindringling nicht mehr neben mir steht, harre ich unbeweglich auf meinem Platz aus, warte ängstlich darauf, was nun folgen wird.
Hat es der Gangster auf den Bus abgesehen oder auf mich?, frage ich mich bang.
Er ist nicht allein. Ich kann hören, wie er sich draußen mit jemandem unterhält, aber nicht verstehen, was er sagt.
Ich verfluche das Schicksal, dass mir als ersten Mann in meinem Leben Antonio zugeführt hat. Fast drei Jahre sind wir zusammen gewesen. Wäre ich damals schon Jerome begegnet, hätte ich statt Spanisch, das ich inzwischen gut beherrsche, Französisch gelernt und würde mich jetzt nicht so ausgeliefert fühlen.
Jemand macht sich draußen an der seitlichen Klappe zu schaffen.
Ich atme auf. Wenn sie den Bus wollen, werden sie mich gleich hinaussetzen und mit ihm verschwinden.
So muss es sein, rede ich mir Mut zu. Von mir, Lena Bauer, 27 Jahre, Studentin und Reiseleiterin – natürlich ohne Vermögen –, haben sie nur den Schlüssel gewollt, damit sie das Fahrzeug nicht aufbrechen müssen. Ich bin für sie völlig uninteressant.
Doch leider irre ich mich mit dieser Annahme zum zweiten Mal.
XXV.
„Das wäre erledigt, hier vermutet ihn so schnell niemand.“
Mit einem befreiten Aufstöhnen richtet sich Christian Tulip auf.
Jean-Paul, der aus dem Bus geklettert und neben ihm getreten ist, zieht sich den Rollkragen herunter, der sein Gesicht bis zu den Augen verdeckt hat. Er blickt etwas betreten drein.
„Sie hat keine Handtasche bei sich, nur diesen Schlüssel...“, er deutet auf Fritzes Schlüsselbund „... und den vom Hotel. Was machen wir nun?“
„Frag sie, wo die Aufzeichnungen sind“, ordnet Christian an.
„Und wenn sie nichts sagt, was dann? Ich kann sie doch nicht zwingen“, wendet Jean-Paul ein.
Er fühlt sich von der Situation total überfordert. Verdammt, warum hat Pascal, der Mann fürs Grobe, gekniffen?, flucht er innerlich und betrachtet seine Schreibtisch gepflegten Hände.
Dem geschniegelten Politiker ein Ding zu verpassen, das hat er gerade noch hingekriegt. Das ist fast Notwehr gewesen, weil der Kumpel bei seiner Aktion Beistand gebraucht hat. Aber jetzt eine Frau zu bedrohen, sie möglicherweise schlagen müssen – nein, das bringt er beim besten Willen nicht fertig. Dazu fühlt er sich zu sehr als Gentleman.
„Willst du das nicht lieber machen? Mich hat sie im Parlament gesehen und könnte mich an der Stimme wiedererkennen.“
„Mich hat sie noch nicht gesehen und so soll es auch bleiben“, wehrt sich Christian sofort gegen diese Zumutung. „Das musst du schon allein zu Ende bringen!“
„Nein.“
Störrisch verschränkt Jean-Paul Dumont die Arme vor der Brust.
Einen Moment mustern sich die beiden fast feindselig.
Worauf habe ich mich da bloß eingelassen und wie komme ich aus der Sache wieder raus?, denkt jeder für sich.
„Sie hat die Unterlagen nicht bei sich, also müssen sie im Hotel sein“, kombiniert Christian Tulip schließlich. „Wir
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