Liebe in Zartbitter
herrscht Dunkelheit und Stille. Passanten sind weit und breit nicht zu sehen und nur ab und zu fährt ein Auto an ihnen vorbei.
„Er ist zu Fuß, muss aber jeden Moment hier eintreffen. Verdammt, wo nur Pascal bleibt?“ flüstert Jean-Paul, der sich noch weiter ins schützende Dunkel zurückzieht.
„Was sollen wir tun, wenn dem Mistkerl die Sache zu heiß geworden ist und er sich mit dem Vorschuss abgesetzt hat?“, flüstert Christian Tulip ratlos.
Der andere zuckt die Schultern. In so einer Situation haben sich die beiden jungen Männer noch nie befunden. Schlagartig ist es aus mit ihrer Abenteuerlust. Als Angestellte im bürokratischen Wasserkopf des EU-Parlaments, die sich ihr Salär hin und wieder durch die Weitergabe von vertraulichen Papieren oder aufgeschnappten Details aus internen Beratungen aufbessern, fühlen sie sich der gegenwärtigen Lage nicht gewachsen.
„Wir dürfen meinen Auftraggeber nicht enttäuschen, sonst liefert er uns ans Messer.“
Krampfhaft sucht Christian, der intelligentere der beiden, nach einer Möglichkeit, wie sie den Vize-Präsidenten davon abhalten können, das Hotel zu betreten, in dem sich Mademoiselle Boyer aufhält. In Fernsehkrimis sieht das alles so einfach aus, doch was sie hier gerade erleben, ist die Wirklichkeit.
„Da ist er schon“, raunt ihm Jean-Paul zu.
XXI.
Fast am „Hotel Le Dome“ angekommen, zögert André de Marville einen Moment und schnippt ein Staubkorn von seinem dunkelgrauen Anzug. Am liebsten würde er kehrt machen. Nach dem langen, aufreibenden Tag, verlangt ihn eher nach einem Glas Rotwein und seiner Couch, als nach einem weiteren dienstlichen Gespräch.
Hätte mich der Brief von Mademoiselle Boyer nicht erst morgen erreichen können, hadert er mit sich. Doch pflichtbewusst, wie er nun einmal ist, hat er ihn gelesen und kann die darin vorgetragene Bitte nicht ignorieren. Wenn er ehrlich ist, ist er sogar ein wenig neugierig darauf, wie sie ihm ihr plötzliches Verschwinden erklären wird.
Irgendwie verspürt er dabei das Gefühl, dass das nicht alles ist, was ihn an der Referentin interessiert.
Eine Vorstellung, wie sie wohl im hoteleigenen Bademantel aussehen mochte, huscht durch sein Gehirn. Schnell schiebt er sie beiseite, zusammen mit der Vision ihres feucht glänzenden Haarschopfs und über die zarte Haut rinnenden Wasserperlen.
Was mag sie nur für eine Frau sein?
Erneut verspürt er den Ärger, der in ihm aufgestiegen ist, als er wie auf Kohlen umsonst auf sie gewartet hat, um anschließend zum Termin bei der IWF-Direktorin zu hetzen. Ja, hetzen ist der treffende Ausdruck.
Und dann der Brief, er solle in ihr Hotel kommen. Impossible! Eine vollkommen unmögliche Person – für den diplomatischen Dienst jedenfalls. Aber ansonsten verteufelt hübsch. Das hat sein Assistent noch vor ihm registriert und sofort zu flirten versucht. Das ist ihm ganz und gar nicht recht gewesen und er deshalb augenblicklich eingeschritten.
Unwillkürlich tastet er nach der Botschaft von Mademoiselle Boyer in seinem Jackett, faltet sie auseinander und liest sie nochmals durch.
Sie schreibt von einem Missgeschick.
Einem? Er verkneift sich ein Lächeln. Den ganzen Tag hat sie ihn in Atem gehalten und seinen Dienstplan komplett durcheinander gebracht. Ist erst zu spät erschienen, dann verschwunden und nun schickt sie nach ihm. Genau genommen rechtfertigen die Unterlagen das sogar.
Verwirrt stutzt er. Erst jetzt wird ihm bewusst, dass das Schreiben auf Französisch abgefasst ist, dabei hat er den Eindruck gehabt, sie verstehe die Sprache nicht, vom Sprechen oder Schreiben ganz zu schweigen.
Eine seltsame Person, diese Elena Boyer. Sympathisch, aber äußerst rätselhaft. Er kennt sie erst seit wenigen Stunden und trotzdem ist es ihr gelungen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, sich in seinen Kopf regelrecht einzunisten.
Plötzlich hat André de Marville kein Verlangen mehr nach seiner heimischen Couch. Auf einen guten Rotwein schon, aber nicht allein. Vielleicht sind sie mit den Absprachen zu der morgigen Anhörung schnell zu Ende und die Mademoiselle lässt sich nach getaner Arbeit auf ein Glas einladen.
Es ist verdammt lange her, dass er sich für ein nettes Gespräch mit einer attraktiven Frau etwas Zeit genommen hat…
Nach einem letzten, prüfenden Blick auf sein Äußeres geht der Vize-Präsident entschlossen auf das große, selbsttätig öffnende Glasportal des Hotels zu, doch bevor er es erreicht hat, ertönt hinter ihm eine
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