Liebe in Zartbitter
Gewissheit haben.
Es kostet mehrere Versuche, bis ich meine Wange in die richtige Stellung gebracht habe. Als ich einen winzigen Luftzug verspüre, atme ich erleichtert aus. Wer auch immer mit mir hier eingesperrt ist, er lebt!
Zur Sicherheit rutsche ich zurück und taste etwas tiefer. Mein auf den Oberkörper gepresstes Ohr vernimmt Herzschlag. Gott sei Dank!
Es ist erstaunlich, wie die anderen Sinne reagieren, wenn einer von ihnen ausfällt. Obwohl ich nichts sehen kann, entsteht nach und nach ein Bild von dem Körper neben mir vor meinen Augen.
Es ist ein Mann, mit einem Anzug und Halbschuhen bekleidet. Er muss bedeutend größer sein als ich und schlank, denn die Stelle wo Fritze seinen Bierbauch hat, ist flach und fest.
Aber was ist mit ihm, warum wacht er nicht auf, spricht mit mir und befreit mich?
Er könnte es tun. Weder sind seine Hände gefesselt, noch ist sein Mund verklebt. Aber er liegt einfach nur so da und rührt sich nicht.
Ich stelle meine Erkundungen ein, denn mit einem Mal überfällt mich bleierne Müdigkeit und mein Kopf beginnt zu schmerzen. Ob das an der schlechten Luft in diesem Hohlraum liegt?
Vom Boden durchdringt mich erneut Kälte.
Mehr instinktiv als wohlüberlegt, rutsche ich an meinen unbekannten Leidensgefährten heran. Sein Anzugstoff ist so schön weich, sein Körper warm. Ich schiebe seinen Arm beiseite und kuschele mich eng an ihn. Er soll mir ein bisschen davon abgeben.
XXVII.
Heftiges Klopfen lässt Hendrik Würtz zusammenzucken und ihn unwillig den in Schaum getränkten Pinsel auf das Bord vor dem Spiegel zurückstellen. Er hasst es, wenn man ihn bei der Morgentoilette stört. Ganz besonders, wenn er beim Rasieren ist.
Das Klopfen lässt nicht nach. Er hört wie jemand mehrmals die Klinke niederdrückt.
„Moment noch!“, brüllt Würtz durch die Badtür.
Zum Glück hat er sich das Gesicht noch nicht eingeschäumt, denn dann müsste selbst die Polizei die Tür eintreten, um hereinzukommen. Diesem Anblick gewährt er niemandem. Selbst Elena hat ihn noch nie so zu sehen bekommen.
Mit einem Knurren dreht er den Schlüssel im Schloss herum. Die Tür springt auf und ein völlig aufgelöster Busfahrer fällt ihm beinahe vor die Füße.
„Komm Se schnell, die Kleene is wech! Da muss wat passiert sein! Wat schlimmet!“, stößt Fritze mit leichenblasser Miene hervor.
Würtz holt tief Luft. Schon wieder Ärger mit der Reiseleiterin. Und das am frühen Morgen. Langsam hat er von diesem Fräulein Bauer die Nase voll.
„Was heißt ‚weg‘?“, fragt er ungehalten. Dann tut ihm der grauhaarige Mann leid, der ihn mit hilflosem Blick anstarrt. Er fordert ihn auf, sich hinzusetzen und erst einmal zu beruhigen. Fritze sorgt sich wie ein Vater um die junge Reiseleiterin‚ das hat er von Anfang an mitbekommen. Deshalb nimmt er an, dass der Busfahrer übertreibt.
„Nun mal langsam und der Reihe nach. Was ist passiert?“, fragt er so ruhig wie möglich, um den Alten nicht noch mehr aufzuregen.
„Ick wollt se heute janz früh abpassen, wejen dem Schlüssel für’n Bus. Aber se hat nich uffjemacht...“
Fritze ist so in Sorge um Lena, dass er Würtz von der vergessenen Handtasche erzählt, die sie am Abend unbedingt noch aus dem Bus holen wollte.
„Wär ick ma mitjejangen, denn wär bestimmt nüscht passiert“, jammert er schuldbewusst. „Aber se wollte det nich, weil ick mit’n Kollejen parliert habe. Und denn hab ick se ja ooch später mit Ihnen jesehen, hier im Hotel.“
„Und?“ Hendrik Würtz versteht noch immer nicht.
„Na, die Kleene is nich uffzufinden und meen Bus is ooch wech.“
„Waaas?“ Hendrik Würtz glaubt, sich verhört zu haben. „Der Reisebus ist verschwunden?“
Fritze nickt bedrückt. „Ick wollte vorm Frühstück een kleenen Spazierjang machen und meen Besten ‘n juten Morjen wünschen, damit’da nich muckt. Aba, wie ick uff’n Parkplatz komme, issa nich mehr da.“
Der Reiseleiter schluckt.
„Und was hat das mit Fräulein Bauer zu tun?“
Fritze senkt den Kopf.
„Na, die hat doch noch den Schlüssel jehabt. Und der Portjee meent, se is spät in de Nacht noch mal wechjejangn.“
Würtz fasst sich ungläubig an den Kopf.
„Wollen Sie damit andeuten, dass sie sich mit dem Bus auf und davon gemacht hat? Kann Fräulein Bauer denn überhaupt ein so schweres Fahrzeug lenken?“
„Nee, ick globe nich. Aber se is wech und der Bus ooch.“
„Sie ist wirklich nicht auf ihrem Zimmer und hat nur ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher