Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Búlandshöfði? Ich bekam Angst davor, irgendwas mit so einem schaurigen Namen wie Búlandshöfði entlangfahren zu müssen.
Zum Schluss bedankte ich mich, indem ich ihnen die Bücher übergab, verabschiedete mich und machte auf dem Weg nach draußen noch einen Rundgang durch die Schule. An den Wänden hingen Farbkleckszeichnungen, und in den Regalen standen ausgestopfte Vögel herum. Ein älterer Herr wischte in aller Ruhe die Korridore. Hinter der Tür zum Tischtennisraum gaben die Oasis-Brüder ihr Bestes. Jemand hatte einen roten Schal an einem Haken vergessen. Daneben hing verloren ein Skihandschuh. Waren Asbestplatten an der Decke nicht schon seit langem verboten? Apfelgeruch begleitete mich bis zum Auto.
Auf einem Zettel im Fenster der Buchhandlung Gimli stand in diesen sorgfältigen und zittrigen Buchstaben, die nur in den Händen alter, herzensguter Menschen wohnen, geschrieben: »Heute geöffnet zwischen fünf und sechs.« Obwohl ich mich wohl fühlte auf dem »Sande«, hatte ich keine Lust zu warten, bis der Laden aufmachte, und verließ den Ort, während der Satz »Hier ist das Leben eine ständige Siesta« in meinem Kopf widerhallte.
Du liegst auf dem Lager hinten im Auto und betrachtest die Islandkarte. Verfolgst die Nationalstraße mit dem Finger und studierst die höllisch vielen Bergstraßen, die du vor dir hast. Und schätzt die höllisch vielen Geröllhänge ab. Die Berghänge und die Höhenzüge und die Gebirgspässe. Es ist immer irgendetwas. Auf dieser Strecke und zu dieser Zeit wird immer irgendwas sein. Oder bist das bloß du?
Búlandshöfði?
Diese Reise, von der du dachtest, du würdest sie am Ende doch niemals antreten, wie so vieles andere, hat tatsächlich begonnen. Du, der sich vor dem Leben und vor Autos fürchtet, du höhenängstlicher und nachtscheuer Mensch, wirst von ihr profitieren. Du weißt, dass indieser neu entstandenen Bergstraßenphobie all diese Ängste zu einer verschmelzen. Eben deshalb sind die Bergstrecken so furchteinflößend. Auf jeder einzelnen kämpfst du mit fünf Drachen. Der fünfte bist du, der Fahrer selbst. Auf dieser Route, zu dieser Jahreszeit, in diesem Auto reicht ein Fehler aus, um sich den Weg dorthin abzukürzen, wo du genau nicht hin willst.
Vorhin, als du gerade den Wetterbericht im Radio suchtest, fehlte nur ganz wenig, und du wärst mir nichts, dir nichts auf eine einspurige Brücke gefahren. In dem Moment, als du dachtest: »Das darf man bei Glätte niemals einfach so tun«, rammst du den Fuß auf die Bremse. Das Seltsame war, dass dich, während das Auto sich auf der Straße im Kreis drehte und das Brückengeländer streifte, ein riesiges Verlangen nach einer Zigarette ergriff. Als der Wagen endlich zum Stehen gekommen war, war das Erste, was du machtest, dir eine Zigarette anzuzünden. Hinterher fandest du es beängstigend, wie ruhig du während dieser Aktion geblieben warst. Fast so, als wusstest du, dass so was passieren würde. Wahrscheinlich wieder und wieder. Und du wärst zufrieden damit, einfach abzuwarten und zu sehen, ob du irgendwann wieder losfahren würdest.
Es war wahnsinnig stürmisch geworden, als du hier nach Ólafsvík reingefahren bist und versucht hast, den Wagen vor dem Südwestwind geschützt zu parken. Trotzdem wird er so sehr geschüttelt, dass es scheint, durch das gesamte Land liefe ein Erdbeben, als du auf die Landkarte schaust. Du fühlst dich inzwischen selbst schon seekrank. Und es ist arschkalt. Heut Nacht soll ein Unwetter aufziehen und nicht vor morgen Abend abflauen. Also heißt es, sich entweder Reisetabletten kaufen und die nächsten vierundzwanzig Stunden im Auto hocken oder sich gleich im Hotel Höfði einen Schlafsackplatz nehmen, so entsetzlich wenig vorangekommen.
Als du den Schlüssel zu Zimmer zwei entgegennimmst, versuchst du dich damit zu trösten, dass du noch nie Angst vor Insekten hattest.
Die Seele des Cannibals
Ólafsvík ist ein bedrückender Ort. Die Atmosphäre so, als ob gleich etwas Schreckliches geschehen würde. Oder gerade geschehen ist. Wahrscheinlich liegt es am Gletscher, oder an der schroffen Fróðárheiði. Dieser Ort macht mich traurig, schwer, müde. Dazu ist die Erscheinung der Ólafsvíker rau. Sie scheinen ständig dabei zu sein, die Umgebung von sich abzuschütteln. Zu vergessen zu versuchen, wo sie sich befinden. Vielleicht ist das gar nicht so schwierig, weil der Ort völlig charakterlos aussieht. Und nach einigen Stunden Aufenthalt hier scheint es mir, als
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