Liebe Isländer: Roman (German Edition)
finge er an, den Hang herunter und über mich zu fließen.
Höfði hingegen ist ein elegantes Hotel. Ein frisch renovierter, dreistöckiger Bau, und von innen wie eine Mischung aus einem Sommerhaus und einem Messestand von IKEA. Holz und Pastellfarben. Während ich Brot mit Pastete esse hier im Zimmer, beobachte ich das Wetter, wie es Lappi unterm Fenster in den Schlaf wiegt. Und dies mit so großem Erfolg, dass er manchmal scheint, sich auf die Seite legen zu wollen. Es ist dunkel geworden und keine Seele unterwegs. Nur verlorene, zitternde Laternenpfähle und Plastiktüten, die von elf entschlossenen Windstärken durch die Straßen gefegt und an Hauswände geklebt werden und dann irgendwohin über alle Berge davonschießen. Im Hafen wälzt sich ein wildes Monster.
Ich beschließe einen Spaziergang zu machen.
Obwohl es gerade erst zehn ist, ist niemand am Empfang, die Lampen im Restaurant sind ausgeschaltet und die Außentür verriegelt. Nach energischem Räuspern, mehrmaligem Husten und einem »Hallo!« klingele ich am Türtelefon außen am Haus.
»Ja?«, fragt die Hotelleiterin.
»Ja hallo, ich bin es, aus Zimmer zwei.«
»Ja.«
»Hör mal, ich möchte einen Spaziergang machen. Aber ich sehe, dass die Tür schon verriegelt ist …«
»Bei diesem Wetter?«
»Ja.«
»Wirst du lange unterwegs sein?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Ich werde bald schlafen gehen.«
»Ach so?«
»Warte, ich werde dir die Schlüssel geben.«
Ich gehe durch die Straßen wie ein defekter Roboter. Mache einen Schritt nach dem anderen, hebe aber nie die Sohlen vom spiegelglatten Gehsteig und bin allzeit bereit, in den Zaun zu greifen. Das ist zweifellos ein ziemlich lächerlicher Anblick, wenn auch belebend. Und ich halte mich jedenfalls auf dem Gehweg, in Ólafsvík in Island. Natürlich wagt sich außer mir niemand in dieses Wetter hinaus, und der einzige Hinweis auf Leben im Ort ist der flimmernde Schein der Fernseher in den Wohnzimmerfenstern. Und ich gleite Schritt für Schritt hinunter zum Kiosk.
»Nur den Inhalt?«, fragt die Verkäuferin, als ich um eine kleine Cola bitte und mich in Richtung eines Tisches in der Mitte des Raumes begebe. Ich zünde mir eine Zigarette an, froh darüber, dass auf dem Land fast überall geraucht werden darf. Oben in einer Ecke hängt ein Fernseher, und darin sind die Fine Young Cannibals in Aktion, obwohl sie leise gestellt wurden und die Musik von Sálin, der Seele, im Radio laut. Passt trotzdem erstaunlich gut zusammen. Die Seele des Cannibals. Unterhalb des Fernsehers flucht ein junger Bursche in ein Münztelefon. »Der verdammte Lieferwagen fährt morgen bestimmt nicht.« Er dämpft die Stimme, und obwohl ich die Ohren spitze wie die Lehrerin, höre ich nur das Wort »Bullen«. Er blickt sich ständig um und ich schaue wieder auf den Fernseher. Hat er vor, abzuhauen?Gemein, vom Wetter gehindert zu werden, wenn man abhauen möchte.
Ich beobachtete die Verkäuferin beim Auffüllen des Tabaks. Die meisten dieser Verkäuferinnen sind fröhlich, aber ziemlich schüchtern. Zurückhaltend, wie es heißt. Und die meisten von ihnen tragen diese freundlichen grün- oder rotgestreiften Westenschürzen, die ihnen eine professionelle Erscheinung geben und der Kundschaft ein Gefühl von Sicherheit. Wenn ich vor ihnen stehe, fühle ich mich fast wie nach Hause gekommen.
So schnell wie der wetterverhinderte Flüchtling hinausgeht, kommen zwei Männer in ölfleckigen Overalls herein und bestellen sich Hot Dogs. Hot Dogs? Ohne irgendetwas zu fragen, weiß die Verkäuferin genau, wie die beiden ihre Würstchen haben wollen. Was für ein Unterschied. Ich vermute, dass die Männer Automechaniker sind, und möchte sie fragen, ob ich in die Reifen des Wagens Spikes nageln lassen sollte, aber sie vertiefen den Blick in das Regal mit den Pornovideos, und ich will sie nicht dabei stören. Auf dem Weg nach draußen lese ich die Anzeigen an der Wand. Es wird viel zum Verkauf und zur Miete im Ort angeboten. Am Donnerstag ist Bridge-Abend, und ein Treffen des Frauenverbands steht kurz bevor.
Auf dem Heimweg sehe ich bei der Polizeistation vorbei. Erwartete vielleicht, zwei, drei fitte Typen anzutreffen, die bei einer Partie Schach sitzen. Doch nein, nur ein älterer Mann ist im Dienst und gerade am Telefon. Nach einer Weile legt er auf und sagt fragend: »Yes?«
Yes? Er sieht, dass ich verlegen werde, und setzt fort: »Oh, du bist kein Ausländer? Ich hab schon überlegt, in welcher verflixten Sprache ich
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