Liebe Isländer: Roman (German Edition)
schauen als einfach nur aus dem Fenster. Möglicherweise ist dieses Hotel ein jahrelanger Traum gewesen, und jetzt, da es Wirklichkeit geworden ist, ist diese unheimliche Ruhe über sie gekommen. Doch es ist natürlich möglich, dass sie auf das Gästehaus von Ólafsvík auf der anderen Straßenseite starren und sich phantastische Pläne ausdenken, wie sie es übernehmen könnten.
Den Tag verbringe ich auf dem Zimmer mit Tagebuchschreiben.
Am Abend lässt der Wind nach, und ich mache einen Spaziergang mit dem Schlüssel zum Hotel Höfði in der Tasche. Der Himmel ist sternenklar, und gefrorene Ruhe liegt über dem Ort. Die Jugendlichen cruisen auf der Hauptstraße (zwei Autos), und die grellgrünen Nordlichter gleiten den Berg Ennið hinunter. An der Mole schweben Möwen im Aufwind. Und nun ist Ólafsvík auf einmal ein ansehnliches Dorf. Ich gehe durch das schlecht beleuchtete Hafengelände und weiter zu einem Gräberfeld, seltsam nah bei riesengroßen Öltanks. Mein Blick bleibt an einem Grab von Vater und Sohn haften, die am selben Tag starben.
Ein Lastwagen rast durch den Ort und hält neben einer Person, die winkend an der Straße steht. Sie springt auf, und der Wagen fährt weiter. Ist der Junge aus dem Kiosk endlich abgehauen? In einem kleinen öffentlichen Park direkt oberhalb vom Höfði glänzt die Statue eines Mannes mit Südwester. Ich gehe zu ihr hin und sehe, dass sie zum Gedenken an die fünf Seeleute errichtet wurde, die mit der Bervík umkamen. Da stehen sie noch einmal, die Namen von Vater und Sohn.
Im schönen Stykkishólmur
Am nächsten Morgen checkte ich aus dem Höfði aus, fuhr hinunter zur Tankstelle und kontrollierte verschiedene Dinge am Jeep. Füllte Öl nach, tankte voll, schüttete Bleiersatz in den Tank, reinigte die Scheiben und befreite die Reifen von Teer. Ich nahm mir viel Zeit, am Wagen herumzuhantieren, und wurde jedes Mal noch zufriedener mit mir, wenn ich in die Tankstelle hineinging, um etwas zu kaufen, was ich benötigte, lebenswichtig. Genau, lebenswichtig. Ich war nicht bloß ein weiterer Kunde, der hineinkam, um Benzin für irgendeine japanische Blechbüchse zu bezahlen. Nein, ich war in einen Outdoor-Overall gekleidet, unrasiert und unterwegs mit einem großen Jeep. Ich verließ mich darauf, dass der Service solcher Tankstellen gut sei und dass dort alles zu bekommen wäre, was ich für den Jeep bräuchte. Das war für mich existentiell. Dazu spürte ich eine ungewohnte Anerkennung bei den Benzinverkäufern. »Dort geht ein Profi«, hörte ich sie denken.
»Ist der Höfði nicht gut zur Zeit?«, fragte ich den Kassierer so unbefangen, wie ich konnte.
»Der Höfði?«
»Der Búlandshöfði.«
»Ach, Búlandshöfði. Dochdoch. Fliegend zu fahren.«
»Tatsächlich?«, fragte ich etwas zögernd.
»Ja, fliegend zu fahren«, wiederholte der Kassierer.
Ich hatte mich schon einmal am fliegenden Fahren versucht und wollte das keinesfalls wiederholen. Gab mir aber Mühe, mir nichts anmerken zu lassen, und begriff auf einmal, dass ich zu einem lebenden Exempel der Theorie vom Jeep als Penisverlängerung des kleinenMannes geworden war. Und darüber hinaus wieder in die Rolle gefallen, zu versuchen, cool zu sein, diesmal vor den Tankwarten in Ólafsvík. Ich war so erbärmlich.
Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite, als ich losfuhr, eine leichte Brise und bewölkt. Der Búlandshöfði-Weg war kurvenreich und glatt und ich somit gezwungen, zu schleichen, und ich bat Gott, alle Felsstürze aus dem steil aufsteigenden Berg aufzuschieben. Das tat er. Gott ist so gut. Trotzdem blieb ein unangenehmes Gefühl dabei, eine Strecke zu fahren, auf der eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand, dass ein Gesteinsbrocken auf dem Autodach landete. Oder das Auto mit sich riss, von der Straße und mehrere zig Meter hinunter ins Meer. Bestimmt war das so ähnlich, wie den Laugavegur in Reykjavík entlangzugehen mit dem Wissen, dass oben auf irgendeinem Dach ein Scharfschütze lag, und sich damit zu trösten, dass das Gewehr wahrscheinlich nicht losginge, und wenn doch, wäre es nicht sicher, ob der Schütze überhaupt träfe. Búlandshöfði kann daher vielleicht am besten als »bosnischer« Weg beschrieben werden.
Kurz bevor ich nach Grundarfjörður kam, wurde das Wetter schlechter, so dass ich nur kurz blieb. Ich fuhr eine Runde durch den Ort und sah, dass Soffanías Cecilsson mit dem Kirkjufell darum wetteiferte, den Ort zu dominieren. Jedes zweite Haus war nach ihm
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