Liebe Isländer: Roman (German Edition)
unberechenbare Berg.
Als ich auf den Parkplatz am Straßenkiosk einbog, ging Lappi aus und rollte die letzten Meter mit leerem Tank bis zur Zapfsäule. Was für eine unglaubliche Präzision. Das war ein Auto, das wirklich fahren konnte. Ich holte das Telefon hervor und rief auf Ögur an. Ich hatte versprochen, der Frau Bescheid zu geben, wenn ich das Djúp passiert hätte.
»Hallo?«
»Hallo. Huldar hier. Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich in Súðavík angekommen bin.«
»Das ist gut. Ging es auf dem Hang?«
»Ja, das ganze Eis war weg. Und bis nach Súðavík keine Glätte mehr.«
»Prima.«
»Und auch nochmals vielen Dank für die Übernachtung.«
»Nichts zu danken, mein Freund. Gute Fahrt.«
»Danke. Auf Wiedersehen.«
»Wiedersehen.«
Drinnen in dem gelben Kiosk saßen drei Jungen im Teenageralter an einem Tisch und schaufelten Pommes frites in sich hinein. Obwohl es niemand aussprach, war offenbar ein harter Wettkampf im Gange, bei dem es darum ging, wer am meisten von der Portion abbekam. In einer Ecke versuchte ein einsamer Spielautomat, mich anzulocken, und an den Wänden hingen gerahmte Fotografien von Trawlern. Eine rothaarige, fröhliche Frau lehnte sich über den Tresen und ließ dabei eine Hand unter der Wange ruhen.
Die Kaffeekanne stand auf einem Tablett am Tresenende, und man sollte sich selbst bedienen. Das war keine große Sache. Aber neben der Kanne war eine kleine Dose, auf der stand »Kaffeekasse«. Das war nun etwas komplizierter. Wie viel sollte ich in die Dose hineinstecken? Wären fünfzig Kronen zu wenig? Hundert? War dann ein Nachschlag inbegriffen? Diese kleine Dose wurde zu einem richtigen Problem für mich. Was hatte es mit dieser »Kaffeekasse« auf sich? Nachdem ich eine Weile ratlos davorgestanden hatte, wandte ich mich an die Verkäuferin. »Entschuldigung, wie funktioniert denn diese Kaffeekasse hier bei euch?«
Sie hob überrascht die Brauen und hatte sichtlichen Spaß an der Frage. »Wie sie funktioniert?«
»Ich meine … Hm. Steckt man einfach Geld hinein?«
»Nun, die meisten Leute tun das.«
»Ja. Nein, ich mei…«
»Steck einfach irgendwas rein. Du musst auch nicht, wenn du nicht willst. Ist kein Problem.«
»Nein nein. Ich bezahle auf jeden Fall. Ich hab bloß so darüber nachgedacht.«
Ich steckte hundertfünfzig Kronen in die Dose und setzte mich an den Tisch hinter den Jungen, über mich selbst verwundert. Warum war diese Kaffeekasse zu einem Problem geworden? Und warum wurde der Kaffee nicht einfach verkauft? Die Jungen aßen ihre letzten Fritten, schlürften die letzten Schlucke aus den Colaflaschen und gingen rülpsend nach draußen. Die fröhliche Verkäuferin schmunzelte und sah ihnen mit liebevollem Blick nach, ein wenig mädchenhaft und ein winziges bisschen spöttisch und doch unendlich gelassen.
»Entschuldigung«, sagte ich, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken.
Sie richtete sich auf und sah mich lächelnd an.
»Nicht, dass es für mich ein Problem wäre, aber, also, warum verkauft ihr den Kaffee nicht einfach?«
Sie lächelte noch breiter. »Dann würde ich den ganzen Tag Kaffee servieren. Ist einfacher, wenn sich die Leute selbst bedienen.«
Ich sah sie einen Moment an und wollte irgendetwas Kluges dazu beitragen und sagte dann: »Ja. Genau. Na logisch.«
Während ich meine Tasse leerte, wurde mir klar, dass diese Kaffeekasse ein gewisses Vertrauen in die Mitmenschen voraussetzte, das mich völlig aus der Bahn geworfen hatte. Mir wurde zugetraut, den Preis für den Kaffee selbst festzulegen und das in die Dose zu stecken, was ich für angemessen hielt. Und das hatte mich überfordert. Nicht, dass es mich danach verlangte, zu schwindeln und nur einen Zehner in die Dose zu stecken, aber ich war ein solches Vertrauen einfach nicht gewöhnt. Das außerhalb der eigenen vier Wände zu erleben hatte mich schlicht und einfach verblüfft. In was für einer Umgebung lebte ich eigentlich?
Doch ich war froh, angekommen zu sein, und hatte Lust auf eine Unterhaltung. »Was bin ich froh, die Fahrt durch dieses gesegnete Djúp hinter mir zu haben.«
Die Verkäuferin, die begonnen hatte, das Glas auf dem Tresen zu polieren, sah auf und fragte: »Bist du die Strecke zum ersten Mal gefahren?«
»Ja.«
»So geht es allen, wenn sie zum ersten Mal durchgekommen sind. Und später ist es dann kein Problem mehr.«
»Ja, vielleicht. Aber ich fahre dort nie wieder durch.«
»Ach?«
Ich erzählte ihr von meinem »Problemchen« auf dem Hang und fragte
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