Liebe Isländer: Roman (German Edition)
vergilbte Zeitungen und bekritzelte Briefumschläge. Ich rufe Vater an, um von mir hören zu lassen.
»Und was hast du jetzt vor, mein Lieber?«
»Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll«, flüstere ich, damit der Bauer mich nicht hört. »Vielleicht umkehren und bis Montag warten und dann die Fagranes nehmen. Ich weiß es nicht.«
Nach dem Gespräch bleibe ich in dem Raum sitzen und überlege, wie es weitergeht. Ich kann mir kaum vorstellen, die Fjorde zurück und wieder über die Steingrímsfjarðarheiði zu fahren. Es ist auch nicht besonders verlockend, bis Montag bei Arngerðareyri im Auto zu hocken. Ich habe genau die Hälfte der Strecke hinter mir, es ist genau so weit, bis Ísafjörður zu fahren, wie zurück. Ich muss den Bauern dazu bringen, mir über diese verdammte Steigung zu helfen.
»Ja, da hat sie ein paar Problemchen gemacht, die Gute«, sage ich und versuche, wie ein Mann zu erscheinen, als ich in die Küche gehe.
Die Frau hat angefangen, Eier zu braten. Der Bauer sieht aus dem Fenster, er scheint das Wetter zu studieren und antwortet finster: »Sie ist auch wirklich hundsgemein, diese Steigung.«
Im Wohnzimmer sitzen drei Kinder und gucken Trickfilme, sie sind aber zu klein, um die Kinder der Eheleute des Hofes sein zu können.
Der Bauer wendet sich vom Fenster ab und sieht mich an: »Und was wirst du nun machen?«
»Uh, ich muss eigentlich gestehen, dass ich keine Ahnung habe.«
Er grinst und sieht wieder aus dem Fenster.
»Er könnte vielleicht versuchen, bei denen von Garðsstaðir Ketten zu leihen«, sagt die Frau und sieht fragend zu dem Bauern.
»Vielleicht«, antwortet er. Geht dann ins Wohnzimmer und setzt sich vor den Fernseher.
Die Frau erzählt mir, dass Garðsstaðir die nächsten Häuser seien. Sie wären im letzten Jahr verlassen worden, aber die Söhne der früheren Bewohner kämen manchmal am Wochenende. Jetzt sei gerade der eine Sohn da: »Und der macht ein bisschen was mit Autos. Er hat vielleicht Schneeketten, die er dir leihen könnte.«
Bevor ich nach Garðsstaðir fahre, bietet sie mir an, bei ihnen zu übernachten, falls ich keine Ketten bekommen sollte. Sagt dann noch, dass das Eis auf dem Hang über Nacht tauen könnte, weil es ziemlich mild sei. Ich bin überglücklich über die Einladung, sage aber, dass ich es versuchen wolle, und beginne zu hoffen, dass »die« auf Garðsstaðir keine Schneeketten haben. Keine Ahnung, wie man mit solchen Gerätschaften umgeht.
Draußen herrscht nasse Dunkelheit. Der Wind pfeift durch einen Wäscheständer, so dass die nervöse Wäsche hin und her zuckt. Mir ist, als hätte ich eine schwarze Mülltüte über dem Kopf und bilde mir ein, zu ersticken. Wahrscheinlich war ich noch nie so weit vom Kaffibarinn entfernt wie heute Abend.
Der Hof von Garðsstaðir ist voller Autowracks, und überall liegen Teile herum. Ganz eindeutig wohnte hier jemand, der »ein bisschen was mit Autos macht«. Auf dem Hof steht ein heruntergekommenes dreistöckiges Haus, und ein Blumentopf in einem in Fernsehschein gebadeten Fenster ist das einzige Zeichen, dass der Hof nicht ganz verlassen wurde. Obwohl ich klopfe und klopfe, antwortet niemand. Ich gehe auf dem Hof umher und versuche zu rufen, bekomme aber keine Antwort. Gleich neben dem Haus steht ein großer Schuppen, unddurch die offene Tür tönt die Moderatorenstimme der isländischen Hitliste.
Der Schuppen ist vollgestopft mit Autoteilen. Nicht mit Wracks, nur mit kleinen Teilen. Von einer Ecke zur anderen und bis unter die Decke sind Tausende Autoteile aufgeschichtet, und in dieses Grauen führt ein Gang hinein. Das ist wie das Geheimversteck von Gaston Lagaffe. Aus dem Tunnel schallt der Widerhall einer krankhaften Sammelleidenschaft, und mir wird bange. Was, wenn der Kerl sich erhängt hat, drinnen im Haus? Wo ist er? Hier im Djúp kann man nicht mal eben irgendwohin gehen. Bis zum nächsten Kiosk sind es gut hundert Kilometer. Auch wenn ich rufe, passiert nichts anderes, als dass aus dem ölfleckigen Radio das nächste Lied erklingt.
Ich gehe wieder zum Haus und rufe weiter. Drücke dann die Haustür auf. Innen ist eine Treppe, die zum Fernsehzimmer hinaufzuführen scheint. »Hallo, ist jemand zu Hause?« Ich gehe die knarrende Treppe hoch und spähe über den Fußboden der ersten Etage. Vor dem Fernseher liegen eine Matratze und eine rote Pringles-Dose. Ansonsten ist das Zimmer leer. Ich gehe schnell wieder hinaus und weiß nicht, ob ich mehr Angst davor habe, dass jemand kommt,
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