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Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Titel: Liebe Isländer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Huldar Breiðfjörð
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eine Runde durch die Orte, die natürlich stets mit einer Tasse Kaffee im Straßenkiosk endete. Es kam weder zu Vorkommnissen noch zu Entschuldigungen. Eine Fliege summte um mein Ohr.
    In gewisser Weise hatte ich inzwischen genug und mochte morgens kaum ins Auto steigen, um einen weiteren Ort anzusteuern. Und am allerwenigsten wollte ich nach Reykjavík. Obwohl die Fliege um mein Ohr summte, war es zugleich, als käme ich wieder zu mir. Mir wurde klar, dass ich weit mehr als die Hälfte der Ringtour hinter mir hatte und bald in die letzte große Kurve einbiegen würde. Im Osten genoss ich es mehr, weg von Zuhause zu sein, als auf dem Weg dorthin. Das Ostland an sich war fast eine Nebensache. Ich genoss es, unterwegs zu sein, fuhr einfach und wusste, dass das Ende der Reise nicht mehr weit war.
    Björn war gesellig und sich über die Politik im Klaren. Am Mývatn hatte ich herausgefunden, dass ein Fernseher Gesellschaft leisten konnte, aber am ersten Abend, an dem Björn und ich gemeinsam Nachrichten guckten, sah ich, dass er noch viel weiter gekommen war: Er stritt sich mit der Glotze. Zuerst bekam ich einen Schreck und dachte, er hätte vielleicht einen schweren Tag hinter sich, stellte dann aber bald fest, dass das nicht der Grund war, denn als seine Leute auf dem Bildschirm auftauchten, lebte er auf und umgriff voller Spannung die Armlehnen. Dazwischen schimpfte und fluchte er, beendete jedes Gewitter, indem er den Kopf senkte, die rechte Faust ballte und laut »Ruhe!« rief. Unmittelbar danach zog ein mitleidiger Ausdruck über sein Gesicht, und er sagte über den entsprechenden Menschen: »Der ist blind. Der ist völlig blind.«
    Im Februar gibt es für Gärtner nicht so viel zu tun, und die Tage bei Björn drehten sich vor allem um die Nachrichten. Er hörte sich sämtliche Nachrichten im Radio an, sah auch sämtliche im Fernsehen und schien auf irgendeiner unbestimmten Wacht zu stehen. Jede einzelne Nachricht war von Bedeutung. Er nahm sie sich auch fast alle zu Herzen und knurrte bald vor Wohlwollen über die Erfolge seiner Leute, konnte dann anderes kaum glauben oder meckerte und fluchte darüber. Der schlimmste von allen und Feind Nummer eins war der Präsident der Vereinigten Staaten. Wenn der Teufel persönlich in den Nachrichten auftauchte, krümmte sich Björn, sperrte die Ohren auf, kniff die Augen zusammen und wurde in jeder Hinsicht zum Gegner. Hinterher ertönte immer ein besonders lautes »Ruhe!«, und die rechte Faust schwang in alle Richtungen. Doch dann verstummte er augenblicklich wieder, um den Beginn der nächsten Meldung nicht zu verpassen. Manchmal saß Björn auch die ganze Nachrichtensendung über still da und beließ es bei einem energischen »Ruhe!« am Ende. Wenn jedoch der US-Präsident irgendwo vorgekommen war, fügte er mit bitterer Stimme hinzu: »Er ist blind. Der ist völlig blind, der Mann.« Und zog sich dann zurück, um sich zu beruhigen. Nach der Nachrichtensendung setzten wir uns in die Küche, tranken rötlichen Kaffee undbesprachen die Lage. Isländer sind Nachrichtenjunkies, das ist bekannt – wahrscheinlich, weil sie so oft vergeblich hoffen, dass etwas passiert. Aber ich habe noch nie etwas erlebt, das sich mit der Wirkung von Nachrichten auf Björn vergleichen ließe. In seinem Kopf schien jede Sendung wie die Schlussphase eines höchst aufwühlenden Endspiels in Liveübertragung zu sein. Er glich einem wilden Fan, der abwechselnd pfiff und jubilierte.
    Björns Haus stand in einer baumreichen Sommerhaussiedlung gleich östlich von Egilsstaðir. Wenn wir abends beim Knistern des Kamins Casino spielten und die Ereignisse des Tages diskutierten, nützte es mir wenig, irgendwelche anderen Ansichten über die Angelegenheiten zu haben als die richtigen. Wenn ich es versuchte, grinste Björn und ließ mich ausreden, dann zählte er die Fehltritte der betreffenden Person, Partei oder Firma in den letzten siebzig Jahren auf. Und brachte mich blitzschnell zu Fall. Auch wenn es schön war, jemandem zu begegnen, der auf so anschauliche Weise zeigte, dass ein Charakter mit Leichtigkeit die Widersprüche der Medien überstehen kann, klaffte zwischen uns eine gigantische Distanz. Nicht allein Jahre und Generationen, sondern noch etwas anderes – natürlich zu seinem Vorteil. Ich war der unentschlossene Junge mit viel zu weitem Blickwinkel. Er war standhaft und hatte klare Ansichten, war so echt, so wirklich, so wahrhaftig und hatte über die Jahre wohl mehr kultiviert als nur

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