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Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Titel: Liebe Isländer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Huldar Breiðfjörð
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Schreibtisch und siehst aus dem Fenster. Doch draußen herrscht kohlrabenschwarze Nacht, es ist nichts zu sehen außer dir. Zerwühlt, bärtig, müde, sorgenvoll und nackt. Dir schien es an der Zeit gewesen zu sein, die Wollunterhosen abzuwerfen, die dich schon die ganze Strecke über umhüllt haben, und nichts darf die Selbstfindung stören. Du musst vollkommenen Frieden erlangen. Dich mit nichts bekleiden außer dem eigenen Körper, jetzt, da du bereit bist. Jetzt, da du durch all diese Widrigkeiten gefahren bist und dich abgeschottet hast.
    Du stehst entschlossen auf, klatschst fest in die Hände, schließt die Augen und gehst im Kreis. Zuerst muss der Kopf völlig leer sein. Dazu nutzt du eine Methode, die dir in einem Yogakurs beigebracht wurde, den du allerdings nach der Hälfte abgebrochen hast. Und jetzt – wird alles schwarz. Du holst tief Luft, wiederholst ganz ruhig: »Du bist wer?« Im Geist taucht ein Bild vom Hotel Reykjahlíð auf. Die Vorderseite fehlt, so dass du sehen kannst, dass die Hotelleiterin auf der untersten Etage auf einem Sofa liegt und fernsieht. Die nächste Etage ist menschenleer, doch auf der dritten, direkt über der Hotelleiterin, gehst du splitternackt im Kreis herum. Okay, der Standort ist wichtig. Das ist normal. Du entleerst den Kopf erneut und setzt fort: »Du bist wer?« Nach kurzer Zeit schießen drei Bilder aus dem Dunkel hervor. Auf dem ersten wartest du an der zentralen Bushaltestelle Hlemmur in Reykjavík auf den Bus, und auf dem zweiten stehst du vor dem Zeitschriftenregal im Buchladen Eymundsson. Beide kannst du dir erklären. Du bist schon oft an diesen Orten gewesen, und wenn du sie kombinierst, liest du aus ihnen die Botschaft, dass du darauf wartest,ins Leben hinauszutreten, wie es sich in all den Zeitungen darstellt. Möglicherweise sogar ein Stück weit so zu werden, wie die Leute, um die es dort geht. Das letzte Bild ist schwierig. Ein Bild vom Logo der alten Genossenschaft Sambandið. Wo in aller Welt kommt das denn her? Die Genossenschaft? Dann fällt dir ein, dass deine Mutter früher in der Fahrzeugabteilung von Sambandið gearbeitet hat. Ja, das bedeutet, deine Mutter spielt eine wichtige Rolle in deinem Leben. Zwischen euch besteht eine enge Verbindung. Doch du findest es betrüblich, dass deine Mutter als altes Logo der Genossenschaft erscheint, und irgendwas ist bedenklich an all den Bildern. Es fehlt ihnen an Tiefe. Du beschließt, eine andere Methode zu probieren. Setzt dich an den Schreibtisch, versuchst, dich am ganzen Körper zu entspannen, und betrachtest dich im Fenster. Was siehst du? Wer ist dieser Mann?
    Du siehst dir eine Viertelstunde lang in die Augen, es passiert nichts, du bist völlig leer. Du starrst weiter, und die Konzentration ist so außerordentlich, dass du nach einer halben Stunde kaum noch weißt, wer von euch du bist, und gerade drauf und dran bist, aufzugeben, als der Satz »Das Leben ist seltsam« durch deinen Kopf hallt. Das ist doch etwas. Du schreibst den Satz auf ein Blatt, um ihn auf keinen Fall zu vergessen. In dem Moment bleiben deine Augen an deinem Bauch hängen. Bist du dicker geworden? Du stehst auf, um nachzusehen, ob im Badezimmer eine Waage ist. Dort hängt die Wollunterhose zum Trocknen über dem Duschvorhang. Das erinnert dich an das Auto. Du bindest dir ein Handtuch um, springst hinaus auf den Flur und siehst aus dem Fenster. Das Auto duckt sich unter den Giebel des Kiosks vor dem Hotel. Auch wenn das Wetter verrücktspielt, ist es unwahrscheinlich, dass es abhebt, so geschützt dort.
    Als du wieder ins Zimmer zurückgehst, bemerkst du den Fernseher vorne im Flur. Und die schwarze Ledersitzecke. Du willst ganz kurz mal nachsehen, was es in der Glotze gibt. Verbringst dann den Rest des Abends damit, darauf zu warten, dass die Direktübertragung eines Skilaufs beginnt, an dem Kristinn Björnsson teilnimmt. Er scheidet kurz nach dem Start aus dem Wettbewerb aus, und du schläfst ein.Du rührst dich nicht mehr bis zum nächsten Morgen. Der Fernseher ist noch eingeschaltet. Du hängst halb auf dem Sofa, halb auf dem Boden, und das Handtuch ist – wo? Vor dir steht die Hotelleiterin, die Hände in den Hüften und eigentümlich überlegen. »Ich wollte bloß fragen, ob ich Frühstück für dich vorbereiten soll?«
    Du hast den Gedanken, dass sie deine Nacktheit möglicherweise nicht bemerkt hat. Oder sie findet einfach nichts Besonderes dabei? Sie sieht aus wie knapp über vierzig. Hat vielleicht zwei Söhne in deinem

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