Liebe ist ein Kleid aus Feuer
»Es war ein Unglück, wie schon gesagt. Mit schrecklichen Folgen. Doch wer wollte das in jenen längst vergangenen Tagen schon hören, zumal sich der flüchtige Graf nicht mehr dazu äußern konnte? Mich haben sie erst wieder zu Wort kommen lassen, nachdem mich der Galgen freundlicherweise abgeworfen hatte.« Er bleckte seine gelblichen Zähne. »Seitdem ziehe ich es vor umherzureisen, anstatt irgendwo sesshaft zu werden.«
»Es ist also tatsächlich durchführbar«, Pater Johannes sprach lauter, so aufgeregt war er auf einmal, »Mutter und Sohn wie von Zauberhand auferstehen zu lassen, sie vor den König zu führen und dann in aller Ruhe dabei zuzusehen, wie Raymond sich bei ihrem Anblick in Qualen windet.«
Der Rest seiner Gedanken ging diese Gauner nichts an, doch innerlich jubelte er. Seine Gebete waren erhört worden – endlich! Er würde beste Beweise in die Hände bekommen, genau das, was dazu nötig war, um den Untergang seines Todfeindes langsam und genüsslich zu zelebrieren. Der Freund des Königs ein erbärmlicher Bigamist, der sich sein neues Lehen und seine schöne Braut mit einer schmutzigen Lüge erschlichen hat! Wie wohl Oda die Kunde von dieser schweren Sünde aufnehmen würde? Wo sie doch so sehr danach dürstete, Metze des Königs zu werden – und dabei keinen einzigen Blick mehr für ihn hatte, ihren alten Jugendfreund! Aber er würde sie lehren, ihn wahrzunehmen, dessen war er sich gewiss. Sobald der richtige Augenblick gekommen war.
Ein hässliches Lächeln verzerrte seine Züge.
»Du willst die beiden holen lassen?«, fragte Rochus, der ihn nicht aus den Augen gelassen hatte. »Soll ich zurückreiten und das für dich erledigen?« In seine Augen trat ein begehrlicher Glanz. »Dann müsste ich dich allerdings um deutlich mehr Silber ersuchen, zusätzlich zu dem Batzen, der mir jetzt ohnehin zusteht.«
Mit verächtlicher Miene streckte der Pater ihm den vereinbarten Beutel entgegen. Bruder Rochus wog ihn prüfend, bevor er ihn unter seiner Kutte verschwinden ließ.
»Nichts würde ich lieber tun, als die beiden holen lassen! Doch leider ist der Zeitpunkt dafür denkbar ungünstig«, sagte Pater Johannes.
Tag für Tag trafen neue Meldungen aus Italien ein, eine verworrener als die andere. Berengar schien seine Herrschaft über das Land mit Feuer und Blut durchsetzen zu wollen, und es sah so aus, als schrecke er vor nichts und niemandem zurück. »Falken« und »Tauben« waren in heller Aufregung. Keiner hätte den Kopf frei, um sich mit Raymonds dunkler Vergangenheit zu beschäftigen.
»Der König braucht jetzt jeden seiner Ritter«, fuhr der rote Mönch fort, »jede Hand, die ein Schwert führen kann.«
»Und der graue Wolf ist nach wie vor einer seiner besten«, sagte der Strick. »Vergiss das nicht!«
»Raymonds Tage sind gezählt, auch wenn ich vorerst noch einmal zur Geduld verdammt bin. Ich werde euch Bescheid geben, sobald sich etwas geändert hat. Lasst mich wissen, wo ich euch finden kann!«
Der Strick nickte, als sei damit alles gesagt, und strebte zur Tür. Rochus folgte ihm eilig.
»Die Zunge«, hörte er Pater Johannes sagen. »Ist sie nun in deinem Besitz oder ist sie es nicht? Ich werde kein ›Vielleicht‹ dulden, kein neuerliches ›Kann sein‹ hinnehmen. Meine Langmut ist bis zur Neige erschöpft.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Also? Ich warte.«
»Die Zunge, ehrwürdiger Vater?« Mit einem breiten Lächeln drehte der Strick sich zu ihm um. »Sollte ich tatsächlich vergessen haben, dir das zu sagen? Dann vergib mir armem Sünder diese Nachlässigkeit!« Er räusperte sich, schien den Triumph auskosten zu wollen. »Die Zunge des Täufers befindet sich an einem sicheren Ort. Ihre feierliche Übergabe steht unmittelbar bevor.«
MAI 951
AM RAMMELSBERG
Als sie ihr Ziel fast erreicht hatten, versiegte die angeregte lateinische Konversation, mit der sie sich unterwegs die Zeit vertrieben hatten. Riccardis war in dieser wunderbaren Sprache ebenso zu Hause wie Rose; es war ein köstlicher Spaß gewesen, sich die Argumente wie Bälle zuzuwerfen und kluge Fragen mit nicht minder hintersinnigen Antworten zu parieren.
Jetzt jedoch spürte Rose, wie Aufregung und Befangenheit sich ihrer bemächtigten. Ihre Hände waren unruhig geworden, begannen zu zittern, als habe sie lange gefastet oder mehrere Nächte kaum geschlafen. Dazu spürte sie schmerzhaft ihren Steiß, da sie aus mangelnder Übung beim Reiten die zahllosen Stöße der unebenen Wege nur mühsam
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