Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Mitgefühl.
»Was für eine Angst er davor gehabt haben muss!«, sagte sie leise. »Hat man ihn dazu gezwungen?«
»Was heißt gezwungen? Den meisten Männern graut es davor, ehe sie es zum ersten Mal gemacht haben. Aber es gehört eben dazu, wenn man ein echter Montanus werden will, und in der Regel geht die Sache ja gut aus.«
Er griff zu seinem Becher, leerte ihn in einem Zug.
»Doch dieses Mal ging die Sache nicht gut aus«, sagte Riccardis, die Willem zum Weiterreden ermutigen wollte. »Es kam zu einem Zwischenfall.«
»Baltus und Lando waren offenbar auf weiches Gestein gestoßen, ohne es zu bemerken. Als die Hitze sich ausbreitete, begann es sich vom Mutterfelsen zu lösen und polterte in großen Brocken auf sie herab. Baltus, obwohl um Jahre erfahrener, muss sofort tot gewesen sein. Und wir nahmen zunächst an, Lando sei es auch, weshalb wir uns nicht einmal die Mühe machten, weiter nach ihm zu suchen.«
Auf einen Wink kam Sepha und schenkte ihm nach. Rose und Riccardis hatten ihre Becher nicht einmal angerührt, so konzentriert folgten sie Willems Ausführungen.
»Wann habt ihr ihn dann gefunden?«, fragte Rose.
»Wir hatten Baltus längst geborgen, doch der stumme Andres, der mit Lando früher am Rennofen gearbeitet hatte, schien wie von Sinnen. Wir konnten ihn nicht dazu bringen, den Schachteingang zu verlassen, weder mit Drohungen noch mit guten Worten. Andres hatte sich dort festgekrallt, fuchtelte und grunzte so lange, bis er uns endlich dazu brachte, noch einmal einzufahren, diesmal tiefer und noch gründlicher nachzusehen. Erst da stießen wir auf Lando, vergraben unter Unmengen von Geröll. Äußerlich schien ihm nichts Schlimmes zugestoßen zu sein, nicht einmal Brüche, nur ein paar Prellungen und Wunden. Doch sein Kopf hat wohl eine zu harte Ladung abbekommen. Und seine Seele ist im Berg geblieben. Das merkten wir aber erst später. Der Kobold hatte sie geholt.«
Er runzelte die Stirn, als er in die fragenden Gesichter blickte.
»So sagen wir Montani , wenn einer von uns den Verstand verliert. Es geschieht jedes Mal anders, und doch ist es immer gleichermaßen furchtbar.«
»So wie bei dem zahnlosen Alten vorhin«, sagte Riccardis. »Der mit dem seltsamen Tanz und seinem scheinbar sinnlosen Gebrabbel.«
»Coloman? Bei dem ging es schrittweise, von Jahr zu Jahr ein Stückchen mehr. Lando aber …«
»Er hat vorhin ›Lehm‹ gesagt«, unterbrach ihn Rose. »Immer wieder nur das Wort ›Lehm‹.«
»Kein Wunder, denn der Berg war ja überall, in seinem Mund, seinem Haar, seiner Haut – beinahe, als hätte er ihn mit Stumpf und Stiel verschlucken wollen.« Willem räusperte sich. »Das ist jetzt schon viele Wochen her. Seitdem ist er so, wie ihr ihn gesehen habt. Und ich fürchte, es gibt kaum noch Aussicht auf Besserung.«
»Lando wird also nie wieder einfahren können«, sagte Riccardis, »wenn ich dich richtig verstanden habe. Das wolltest du doch sagen, oder?«
Willem nickte bedächtig. Rose sprang auf.
»Dann nehmen wir ihn mit«, sagte sie. »Am besten so bald wie möglich.«
»Das ist nicht möglich«, sagte Willem. »Schlagt euch das gleich aus dem Kopf! Lando darf den Rammelsberg nicht verlassen, so lange er lebt.«
»Das nennst du leben? Soll er in seiner Hütte liegen und darauf warten, dass er wie ein krankes Tier verreckt und ihr ihn verscharren könnt?« Riccardis’ Stimme war scharf geworden. »Bei der Barmherzigkeit Jesu – das können und das werden wir nicht zulassen!«
»Aber das Urteil der Knappschaft besagt …«
»Was wiegt schon ein Urteil, das Menschen gefällt haben, verglichen mit dem unendlichen Plan des Herrn? ER ist unser aller Vater, und wir sind seine Kinder. Gegen Seine Allmacht ist unser Wirken ohnmächtig und klein.«
Willem nickte zwar, weil ihm offenbar auf die Schnelle kein passendes Gegenargument einfiel, wirkte aber noch immer nicht sonderlich überzeugt.
Rose begann fieberhaft zu überlegen. Sie würde nicht ohne Lando hier weggehen, das war ihr längst klar. Wie aber konnte man diesen Mann hier erweichen, der ihr nicht minder hart vorkam als das Gestein, das er brach?
Plötzlich hatte sie einen Einfall.
»Dann appelliere ich an dich im Namen der heiligen Mutter Gottes«, sagte sie und sandte im gleichen Augenblick ein stummes Stoßgebet zu dieser. »Jesus ist für uns nur einen Tod gestorben. Sie aber viele tausend Tode wie jede Mutter, die auf Erden ihren Sohn verliert.« Auf Roses Wangen brannten rote Flecken, so erregt war sie.
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