Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Ihr nächster glühender Gedanke galt ihrer toten Mutter. Hilf mir, Marja!, flehte sie. Jetzt brauche ich auch deinen Segen. »Um ihretwillen – gib uns Lando heraus!«
Überrascht starrte Willem sie an.
Jetzt hatte sie ihn erreicht! Rose hätte singen können, jubeln und tanzen, aber sie strengte sich nach Kräften an, äußerlich ganz ruhig zu bleiben.
Als endlich etwas Bewegung in Willems starre Miene gekommen war, zog Riccardis als tatkräftige Unterstützung einen Beutel hervor und schob ihn zu ihm hinüber.
»Ihr hattet sicherlich Ausgaben«, sagte sie. »Die Bergung, der Unterhalt für Reusin, Ersatz im Stollen und vieles mehr. Wir frommen Schwestern kennen das Elend. Wir wissen, wie aufwändig Krankenpflege ist.«
»Wo wollt ihr denn hin mit ihm?« Willems Hand stieß nach vorn, umkreiste den Lederbeutel, der plötzlich irgendwo unter dem Tisch verschwunden war.
»Dorthin, wo Gott wohnt – und die, die ihm aus freiem Herzen dienen«, sagte Rose und begann zu lächeln, das erste Mal seit langen qualvollen Stunden.
MAI 951
KÖNIGSPFALZ GRONE
Burg Scharzfels ohne Oda war verlassen und kalt gewesen trotz der freundlichen Ordnung, für die Gunna in Abwesenheit der Herrin überall gesorgt hatte. Beinahe als sei deren Geist ausgeflogen wie ein Zugvogel, der sich in wärmeren Gefilden eine vorübergehende Heimstatt suchte. Es nützte nichts, durch die Räume zu gehen und sich stumm Odas Namen vorzusagen; selbst wenn Raymond Dinge berührte, die sie zurückgelassen hatte, gelang es ihm nicht, ihre Gegenwart heraufzubeschwören.
Sie war ein Teil von ihm, wie sehr sie sich auch entzweit hatten, das spürte er von Tag zu Tag deutlicher, egal, was immer er auch tat. Sie saß ihm im Fleisch wie ein Stachel, der sich so tief gegraben hatte, dass nichts und niemand ihn jemals wieder herauslösen konnte. Ohne sie war er nichts. Nur mit Oda konnte er existieren. Diese Erkenntnis lähmte ihn, weil er spürte, dass es die Wahrheit war. Nichts, was er anpackte, wollte ihm recht gelingen, nichts, was er sah oder erlebte, vermochte ihm echte Freude zu bereiten. Weder die sprießenden Felder, die auch für dieses Jahr wieder gute Frucht versprachen, noch die Jagd, die er so lustlos absolvierte, dass sogar Bodo Bedenken kamen.
»Gut, dass du noch nicht damit begonnen hast, neue Falken abzutragen. Sonst würdest du vermutlich jeden Habicht schnell wieder verlieren«, sagte er, als sie von der Jagd zurückkehrten. »Sie spüren genau, wie es um den Falkner bestellt ist, der sie kröpfen lässt. Schneller manchmal als wir Menschen.«
Raymonds giftiger Blick ließ ihn verstummen, und so ritten sie wortlos zurück zur Burg.
Dort bewachte Malin Küche und Keller wie eine missmutige Kröte. Immer wieder versuchte sie, in Raymonds Gegenwart das Gespräch auf Oda zu bringen, musste dabei aber stets aufs Neue erleben, dass er abrupt verstummte und anschließend tagelang ihre Nähe mied.
Es war in vielerlei Hinsicht eine Erlösung für Raymond, als er endlich Belle satteln und Scharzfels den Rücken kehren konnte. Dieses Mal forderte er Algin nicht auf, ihn zu begleiten; irgendetwas, das er nicht genauer hätte benennen können, hinderte ihn daran, obwohl er genau spürte, dass der Schmied damit gerechnet hatte, und obwohl etwas anderes ihn mutmaßen ließ, dass dessen Dienste nützlich für ihn sein könnten.
Seit er Lando nach dem Rammelsberg verbannt hatte, sprachen sie nur das Notwendigste miteinander, auch wenn Algin seine Arbeit nach wie vor ohne Fehl und Tadel erledigte. Schlimmer als das Verstummen des Schmieds waren für Raymond ohnehin die Blicke Gunnas, in denen er Schmerz, Trotz und bittere Anklage lesen konnte, aber mittlerweile hatte er sich auch daran gewöhnt.
Nur die treuesten Männer durften ihm auf dem Weg zum König folgen, unter ihnen Gissel und dessen Sohn. Sie versuchten alles, um ihn unterwegs aufzuheitern, was jedoch misslang. Einsilbig und griesgrämig ritt Raymond voran, ein einsamer grauer Wolf, der nur widerwillig sein Rudel anführte.
Die Geschäftigkeit in der Königspfalz, wo man sich für eine große Festlichkeit zu rüsten schien, von der er nichts wusste, stieß ihn ab. So viele Leute hatte er lange nicht mehr auf einem Haufen erlebt. Alle liefen durcheinander, aber niemand schien wirklich bereit, ihm Auskunft darüber zu geben, was gerade vor sich ging.
Oda, die er unmittelbar nach seiner Ankunft in ihrem Gemach aufsuchte, empfing ihn so kühl, als seien sie nicht Mann und Frau, sondern
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