Liebe ist ein Kleid aus Feuer
allenfalls weitläufig bekannt. Dabei empfand Raymond ihre Schönheit nach der langen Trennung wie einen Schlag. Etwas schien in ihr zu glühen, das ihre übliche Kühle zum Schmelzen gebracht hatte, ein inneres Feuer, das ihre Augen blitzen ließ, eine Spannung, die ihren biegsamen Körper noch anziehender machte. Dass er nicht Ursache dieser erstaunlichen Verwandlung war, lag auf der Hand.
Was war es dann? Er musste es herausfinden, und das so schnell wie möglich.
»Wir sprechen uns später«, sagte er. »Zur Nachtzeit. Wir haben einiges zu bereden.«
»Das glaube ich kaum.« Sie klang so schnippisch wie eine Jungfrau in Bedrängnis. »Du würdest zudem vergeblich auf mich warten, denn ich bin anderweitig verpflichtet. Die Herzogin ist noch immer leidend, kommt nur schleppend wieder auf die Beine. Ida verlangt jede Menge Zuspruch und Beistand, und ich habe ihr versprochen, für sie da zu sein.«
»Wozu? Dafür hat sie doch schon Eila! Wo steckt die überhaupt? Ich möchte sie …«
» Ich halte meine Versprechen«, fiel Oda ihm ins Wort. »Und bin natürlich eine weitaus bessere Vertraute als so ein junges, unwissendes Ding. Woher soll ich wissen, wo Eila gerade ist? Mach selber die Augen auf, dann kannst du dich auch gleich nach einer passenden Unterkunft umschauen. Hier am Hof gelten nun mal andere Regeln, das solltest du eigentlich wissen!«
Raymond ging schnell hinaus, um seine Kränkung zu verbergen. Natürlich konnte er bei den anderen Rittern unterkommen, die in erstaunlich großer Zahl eingetroffen waren, als hätte ein Ruf sie aus dem ganzen Reich herbestellt. Er musste nicht lange suchen, bis er im Gedränge seinen Waffenbruder Bernhard entdeckte, schwer bewaffnet und noch geschäftiger als sonst.
»Hast du schon gehört?« Bernhard nahm ihn zur Seite und senkte seine Stimme. »Er soll Adelheid gefangen genommen haben!«
»Von wem redest du?«
»Von Berengar. Wovon sonst?« Bernhard schüttelte unwillig den Kopf, als sei allein schon die Frage eine Zumutung. »Angeblich soll die alte Burg zu Garda ihr Verließ sein. Wenn das tatsächlich zutrifft, wird Liudolf nicht länger die Hände in den Schoß legen können. Kein König kann sich solch eine Provokation gefallen lassen. Ich denke, alter Freund, wir werden sehr bald gen Italien ziehen.«
»Liudolf ist kein König«, sagte Raymond.
»Aber Herzogin Ida ist seine Frau, und niemand anderer weit und breit kann sicherere Ansprüche auf den Thron Italiens erheben. Wir holen ihn, Raymond. Bist du mit dabei? Für Liudolf, unseren künftigen König – und Ida, seine Königin!«
»Weiß Otto davon?«
»Der eine grübelt und verwirft, bis alles gründlich verfahren ist, das scheint das gute Recht des Alters. Der andere aber handelt und streitet, das ist das Vorrecht der Jugend. Entscheide du, wo deine Zukunft liegt!«
Der Edle von Weißenborn lief davon, als warteten dringendere Aufgaben auf ihn.
Raymond sah sich um. Dorthin, wo die vielen neuen Zelte standen, in denen auch er eine Schlafstatt finden würde, zog es ihn nicht, noch nicht. Er musste zunächst seine Gedanken ordnen, musste erst einmal zur Ruhe kommen, bevor er mit den anderen Rittern reden wollte.
Ein Stück entfernt sah er die Kirche liegen. Bei seinem letzten Besuch hatte sie noch ein Baugerüst umgeben wie eine hölzerne Hülle. Jetzt stand sie frei und anmutig auf der Kuppe eines kleinen Hügels, genau der richtige Ort, um ungestört zu sein.
Raymond trat ein, benetzte die Hand im Weihwasserbecken neben dem Portal, schlug das Kreuzzeichen und empfand die Leere des steinernen Baus so wohltuend wie eine wortlose Umarmung. Man hatte an nichts gespart, das sah er beim Weitergehen. Die Fenster waren aus buntem Glas, der Altar war aus rötlichem Stein gefügt und mit gebleichten Leinenstreifen bedeckt, die breite Goldbordüren zierten. Ein Reliquiar aus getriebenem Silber zog den Blick auf sich, eine kostbare, kunstvolle Arbeit mit einem breiten Sichtfenster aus Bergkristall. Ernst hing der Gekreuzigte darüber, das Lamm Gottes, vom Himmel herabgestiegen, um die Sünder der Welt zu erlösen.
Raymond kniete sich auf die unterste Altarstufe, faltete die Hände und schloss die Augen.
Langsam sickerte die Stille in ihn ein, in sein Herz, seinen Kopf, in alle Fasern seines Körpers, bis sie ihn schließlich mit Licht und Wärme erfüllte. Sein Zorn und seine Trauer über Odas Abfuhr wurden schwächer. Jetzt kehrte Frieden ein. Nach und nach fühlte er beinahe so etwas wie lang vermisste
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