Liebe ist ein Kleid aus Feuer
besser, wenn du jetzt gehst«, sagte Raymond. »Die Schatten werden schon lang.«
OKTOBER 951
STIFT GANDERSHEIM
»Was ist geschehen?«
Drei Augenpaare blickten besorgt auf Rose, und sie erkannte mit einiger Mühe über sich Celia, Bihilit und Gerberga.
»Du bist gefallen, Liebes.« Nie zuvor hatte die strenge Priorin so sanft geklungen. »Und nachdem wir alle gemeinsam den heiligen Valentin angerufen haben, hast du dich wieder bewegt.«
Rose versuchte sich aufzurichten, doch Bihilit drückte sie sanft zu Boden.
»Aber die ganze schöne neue Tinte, die ausgeflossen ist! Und unser heiliges Scriptorium …«
»Nichts, was sich mit einem Lappen und einem Eimer Wasser nicht schnell wieder beheben ließe. Wie geht es dir, Rose? Hast du Schmerzen?«
»Der Mund.« Rose stöhnte leise. »Dieses Mal ist es nicht die Zunge. Ich muss mich böse in die Wange gebissen haben.«
»Celia soll dir gleich einen Tee zubereiten«, sagte Gerberga. »Dann wird alles wieder gut.«
»Ich wünschte nur, du würdest den Gürtel aus Beifuß und Paeonie auch anlegen, den ich dir geflochten habe!«, sagte Celia. »Wie sollen die Heilkräuter denn gegen die bösen Fraisen angehen können, wenn du den Gürtel ungenutzt in der Truhe vertrocknen lässt?«
»Ich werde mich bessern, versprochen.« Rose versuchte, sich zu bewegen, und verzog dabei schmerzvoll das Gesicht. »Mein Rücken hat offenbar auch etwas abbekommen«, sagte sie.
»Du bist zu Boden gegangen wie eine gefällte Tanne«, sagte Gerberga. »Ohne Laut. Dann erst haben deine Glieder zu zucken begonnen. Und der Schaum kam.«
Rose schloss die Augen. Es war ihr anzusehen, dass sie am liebsten nichts mehr davon hören wollte.
»Wir sind hier bei dir«, sagte Bihilit. »Dir kann nichts geschehen, das musst du wissen.«
»Ja, und es gibt keine unter uns, die von Dämonen brabbeln würde, keine Einzige! Freilich wäre da sehr wohl noch etwas, das dir Besserung bringen könnte. Wenngleich nicht ganz einfach zu beschaffen. Aber ich könnte mich darum kümmern, wenn du möchtest.« Celia schien ganz in ihrem Element. »Man nehme Maulwurfsblut und trockne es, außerdem den Schnabel einer Ente und die Füße einer Gans – beide weiblich, versteht sich, ohne Haut und Fleisch – und mahle dies alles im Mörser zu sehr feinem Pulver. Dieses in ein Tuch gebunden, soll zunächst drei Tage lang an einer Stelle liegen, wo der Maulwurf zuvor die Erde aufgestoßen hat, bevor man es …«
»Ich glaube, Rose braucht doch gleich ihren Tee«, sagte Bihilit stirnrunzelnd. »Ich werde dich in die Küche begleiten.«
Es war leichter, als Rose endlich mit Gerberga allein war. Die kühle, weiche Hand der Kanonisse lag auf Roses Stirn. Die Nichte des Königs, die eines Tages Äbtissin werden würde, schwieg eine ganze Weile, dann begann sie plötzlich verschmitzt zu lächeln.
»Heraus damit! Sag mir schon, wo du es versteckt hast! Jetzt, wo keine andere uns hören kann.«
»Wovon redest du?«, fragte Rose.
»Das weißt du ganz genau. Also, wo ist es?«
Rose zuckte die Schultern.
»Ich soll raten? Gut, dann werde ich raten, wenn du unbedingt willst. In deinem Pult ist es schon mal nicht. Da habe ich nämlich neulich nachgesehen, als du draußen warst. Vielleicht unter dem Stapel frisch abgeschabter Pergamente? Nein, das wäre dir bestimmt zu unsicher, weil ja eine der Schwestern daran gehen könnte.« Sie verzog ihren Mund. »Und sag jetzt bloß nicht, dass du es in deiner Zelle versteckt hast!«
»Nein«, sagte Rose. »Dort habe ich nichts versteckt.«
»Wo denn dann? Gütiger Gott im Himmel, bist du hartnäckig!« Gerbergas Veilchenaugen blickten nach oben. »Soll ich jetzt abermals den heiligen Valentin anrufen, um ihn zu bitten, dass er dich gründlich durchschüttelt?«
»Das musst du nicht«, sagte Rose. »Aber was macht dich eigentlich so sicher?«
»Weil ich dich kenne. Und weil dein Gesicht seit ein paar Tagen leuchtet, als hättest du eine Kerze verschluckt. Also? Bitte, Rose – du hast es mir versprochen!«
»In den alten Schriften von Bruder Rochus«, räumte Rose schließlich ein. »Ganz hinten. Bei den Komödien von Terenz. Aber sei bloß vorsichtig! Ich möchte nicht, dass jemand anderer davon erfährt.«
»Wie klug von dir! Und wie überaus geschickt. Weil sich ja ohnehin niemand an diese deftigen Lateiner traut.«
Gerberga stand auf, nahm etwas aus dem Regal, begann zu blättern und kam schließlich mit zwei beschriebenen Pergamenten zurück.
Rose richtete sich mühsam
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