Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Außerdem befürchtete sie, Raymond könnte ihre Ungeduld falsch verstehen und vielleicht glauben, sie sei erleichtert, seiner düsteren Begleitung zu entrinnen.
An der Stiftspforte nahm Bihilit sie in Empfang.
Sie begrüßte Eila lebhaft, Raymond dagegen deutlich verhaltener, und für einen Augenblick kroch die altbekannte Furcht in Eila hoch. Es war ein Risiko gewesen, sich auf die Seite Liudolfs zu stellen, ein Risiko, das sie bewusst auf sich genommen hatte.
Waren sie auch hier bereits als Rebellen verschrien?
Sie mussten damit rechnen, dass Gerberga durch ihren Vater Heinrich über alles im Bilde war, was sich in den letzten Monaten zugetragen hatte, und damit auch die Priorin, aber Bihilits glattem Gesicht war keine ungewöhnliche Regung anzusehen. Sie besprach ein paar Formalitäten mit Raymond, ebenso zurückhaltend und gemessen, wie man es von ihr gewohnt war, dann zog sie sich zurück und ließ Vater und Tochter allein.
Jetzt standen sie sich fast betreten gegenüber. Der alte Graf wollte so schnell wie möglich nach Scharzfels reiten, um auf der heimatlichen Burg und seinen Feldern endlich wieder einmal nach dem Rechten zu sehen. Niemand wusste besser als er, welch fatale Folgen die zu lange Abwesenheit eines Lehnsherrn haben konnte: Die Bauern taten, was immer ihnen in den Sinn kam, das Gesinde verrohte, und selbst die Hand eines tüchtigen Verwalters konnte unter Umständen zur Unzeit erlahmen. Viele Tage, um alles zu sichten und notfalls neu zu ordnen, würden ihm ohnehin nicht bleiben; Liudolf hatte sich mit seinen Falken in die Pfalz Werla zurückgezogen und erwartete dort ungeduldig Raymonds Rückkehr. Der einstige Vertraute seines Vaters war ihm inzwischen unter all den Rittern besonders wichtig geworden. Er hätte ihn am liebsten noch enger an sich gebunden, ihn zu seinem persönlichen Berater erhoben, doch bislang hatte Raymond sich zu entziehen gewusst.
Er blieb ebenso nachdenklich und wortkarg wie schon auf dem ganzen Weg hierher und wäre womöglich mit nichts als einem knappen Gruß davongeritten, hätte Eila ihn nicht aufgehalten.
»Du machst dir Sorgen, Vater?«, fragte sie, bevor er aufsitzen und sich mit Belle aus dem Staub machen konnte. »Ich merke doch, wie bedrückt du die ganze Zeit über bist.«
»Die Sorgen werden nicht eben kleiner. Das siehst du ganz richtig, kleiner Habicht. Ich denke vor allem an deine Mutter, die nicht richtig gesund werden will.«
Eila schwieg betroffen. Das war eine Last, die auch ihr auf der Seele lag. Oda war verändert seit dem Italienzug, schien schwach und leidend, als verzehre sie ein inneres Feuer. Sie vernachlässigte ihr Haar, ihre Kleidung, aß kaum noch etwas, wollte nicht mehr aufstehen und saß, wenn sie sich überhaupt dazu überreden ließ, die meiste Zeit mit abwesender Miene herum. Sie hatten Malin aus Scharzfels geholt, um sie aufzuheitern, doch nicht einmal die Anwesenheit der alten Vertrauten vermochte ihre Stimmung zu bessern. Seltsamerweise hatte sich ausgerechnet die Herzogin ihrer angenommen, als sei der Verlust von Odas einstigem Strahlen eine lang ersehnte Genugtuung für sie.
Jetzt schämte sich Eila, dass sie ihre Mutter früher heimlich Eiskönigin genannt hatte. Die gebrochene Frau während der vergangenen Monate hatte nur noch wenig Ähnlichkeit mit der frostigen, bildschönen Oda von früher, die stets alle Blicke auf sich zog. Echtes Mitgefühl für sie aufzubringen, fiel Eila dennoch schwer. Da gab es nach wie vor eine Kluft zwischen ihnen, einen tiefen, eisigen Graben, der sich trotz aller Anstrengungen nicht überwinden ließ.
Blieben Kinder nicht stets ein Teil ihrer Mutter, ein Teil von deren Körper, deren Träumen? Wenn sie Gunna und Lenya zusammen beobachtet hatte, waren Eila oft solche Gedanken gekommen, die in ihr Neid und ein Gefühl großer Verlassenheit weckten. Zwischen Oda und ihr war es niemals so gewesen, früher nicht und auch jetzt nicht. Die kalte Gleichgültigkeit, die Oda ausstrahlte, hatte sich nicht verändert, und es war beinahe, als bestrafe sie Eila für etwas, über das diese nicht einmal Bescheid wusste. Sie waren Mutter und Tochter, daran gab es keinen Zweifel, und doch war es Eila, als wäre sie nie in Odas Leib gewesen, als hätte Oda sie niemals geboren.
»Die Burg, die Felder, und dazu noch Liudolfs ständiges Drängen nach der Krone – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll!«, fuhr Raymond fort. »Wenigstens bist du jetzt hier in Sicherheit. Diesen Hort der frommen Schwestern
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