Liebe ist ein Kleid aus Feuer
hatte sie schon am Vorabend sorgfältig ausgesucht: einen älteren Wallach, gutmütig und gehorsam, der sie, so Gott wollte, sicher und schnell zu Liudolfs Zeltlager tragen würde. Eila war gerade dabei, ihn zu satteln, als ein Geräusch sie auffahren ließ.
»Sieht aus, als wärst du gerade im Begriff, eines der königlichen Pferde zu stehlen«, sagte Algin ruhig.
»Das siehst du ganz richtig.« Eila setzte ihre Tätigkeit unbeirrt fort, zog die Satteldecke glatt, legte den Sattel auf, schloss den Gurt unter dem Pferdebauch.
»Dann wird es morgen keine Hochzeit geben?«
Sie prüfte, ob zwischen Sattel- und Schulterblatt ausreichend Platz war. Ein Pferd, das unterwegs scheute, weil es sich unbehaglich fühlte, konnte sie heute nicht brauchen.
»Nein«, sagte Eila und schaut auf. »Weder morgen, noch an einem anderen Tag.« Sie hob ihre Hand mit dem eisernen Ring, bewegte sie langsam hin und her, bis Algin den Blick abwandte. »Sieh nur hin!«, sagte sie. »Ich trage ihn noch immer. Denn mein Herz ist bei Lando. So war es, und so wird es immer bleiben.«
»Du wagst es, seinen Namen in den Mund zu nehmen, nach allem, was geschehen ist?«, sagte der Schmied mühsam beherrscht.
»Weißt du denn nicht, dass ich mich mehr um ihn sorge als um mein eigenes Leben? Ich habe erfahren, dass er im Rammelsberg nach Erz graben muss, und schon vor Monaten Rose dorthin geschickt. Bald werden wir wissen, wie es ihm ergeht.«
Algin wollte sie unterbrechen, etwas sagen, sie aber ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Rose kann ich blind vertrauen. Sie wird mir alles wahrheitsgemäß berichten.«
»Was könnte ein kleines, schwaches Mädchen wie sie an solch einem finsteren Ort schon ausrichten?«
»Unterschätz sie nicht!«, sagte Eila. »Rose ist klug, steckt voller Einfälle, und ich kenne niemanden mit einem stärkeren Willen. Außerdem mag sie Lando. Sie wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um ihm zu helfen.«
Eila führte das Pferd am Halfter hinaus. Algin war ihr gefolgt.
»Hilf mir beim Aufsitzen!«, sagte sie. »Ich muss los, bevor es ganz hell geworden ist.«
»Was sagt dir eigentlich, dass ich nicht die Wachen rufen werde?«, fragte er.
»Die Liebe zu deinem Sohn.« Er tat, was sie verlangt hatte. »Du liebst Lando doch nicht weniger, als ich es tue.«
Die äußeren Wachen des Zeltlagers reagierten erstaunt, als sie in der frühen Reiterin Raymonds Tochter erkannten. Sie ließen sie passieren, fast ungläubig, und nachdem sie die nächste Wache erreicht hatte, geschah das Gleiche. Als sie abgestiegen und ein paar Schritte gegangen war, kam ihr Raymond bereits entgegen.
Schon sehr lange nicht mehr hatte sie ihn so herzlich lachen sehen; die Freude verschönte sein Gesicht, machte es weich und leuchtend.
»Eila!«
Er umarmte sie, wie er es viele Jahre nicht mehr getan hatte, hob sie ein Stück hoch, als sei sie noch immer ein Kind. Dann ließ er sie wieder zu Boden gleiten, und als er schließlich zu reden begann, verriet seine Stimme tiefe Besorgnis.
»Du weißt, was du da tust?«
»Ich weiß es, Vater. Deshalb tue ich es ja. Wann brechen wir auf?«
»In wenigen Stunden. Der Herzog möchte es zu keiner Konfrontation mit dem König kommen lassen – noch nicht.«
Aus einem der Zelte war eine blonde Frau gekrochen, die jetzt reglos dastand und gegen die Morgensonne blinzelte.
»Das ist doch nicht …« Eila verstummte.
Raymond folgte ihrem Blick.
»Deine Mutter, Eila«, sagte er. »Wir alle gehen jetzt nach Hause.«
Neun
APRIL 952
STIFT GANDERSHEIM
E in Kiebitz flog ihnen voraus, als sie das Ufer der Gande erreicht hatten, ein großer, lebhafter Vogel mit metallisch glänzendem Gefieder und heller Federtolle. Eila wurde von fiebriger Vorfreude erfasst. Tief über dem Boden segelte er, bis er schließlich mit schnellen Flügelschlägen wieder aufwärts stieg und dabei schrille Rufe ausstieß. Es roch nach Frühling, nach feuchter, fruchtbarer Erde, nach den Blüten, die hier und da bereits aufbrachen.
Alles am Wegrand erschien ihr wie ein Zeichen, eine Verheißung: die ersten blühenden Salweiden, die Buschwindröschen, die sich wie ein weißer Teppich ausgebreitet hatten, das strahlend gelbe Scharbockskraut, auf das Malin als das beste Mittel gegen Warzen stets so große Stücke gesetzt hatte. Am liebsten hätte Eila ihrem Gaul jetzt die Sporen gegeben, um noch schneller voranzukommen, aber es hatte die ganze Nacht geregnet, und der Weg vor ihnen war matschig, voller Schlaglöcher und schmal.
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