Liebe ist ein Kleid aus Feuer
bezahlen musste, war hoch gewesen – Mutter und Vater in einer Nacht zu verlieren.
»Das Kästchen, Sire«, beharrte Rose, nun drängender.
Fast zögernd nahm er das Behältnis, öffnete den Deckel und betrachtete den Inhalt.
Gerberga zeigte ein kleines Lächeln. »Jetzt dein Pergament, Rose!«, sagte sie.
»Nach der Geschichte von Gandersheim«, begann Rose, »soll der Gründerin Oda einst Johannes der Täufer erschienen sein.« Sie hielt kurz inne. »Willst du es genauer hören?«
Der König nickte.
» Als eines Morgens mit rötlichem Schimmer / Aurora das nächtliche Dunkel zerteilte, / lag Oda wie niedergeworfen vor dem Altar, der Johannes geheiligt, / und klopfte betend am Himmelstor. / Schon fühlte sie sich im Herzen erleichtert, / da sah sie vor sich eines Mannes Füße …«
Er lauschte gebannt, das erkannte Eila an seinem Gesichtsausdruck. Die Brauen bewegten sich, als Roses Vortrag leidenschaftlicher wurde, die Lippen öffneten sich, als wollten sie etwas entgegnen.
»… ich bin Johannes, der Christus einst taufte. / Weil du mich stets mit Eifer verehrt hast, / so wisse: Es werden einst dir Entsprossene / ein Kloster für fromme Jungfrauen erbauen …«
Rose hob den Blick. »Ich lasse ihn von dir sprechen, Sire, und von deinen edlen Vorfahren.«
»Diese Verse stammen von dir?«, fragte der König.
»Ein Versuch, Sire, nicht viel mehr, eigentlich auf Latein geschrieben und noch längst nicht fertig, aber Gerberga meinte …«
»Jetzt bist du also entbrannt?«, sagte Otto. »So, wie ich es dir damals vorausgesagt habe?«
»Ich bin entbrannt, Sire«, erwiderte Rose lächelnd.
»Dann soll die heilige Reliquie ihren angestammten Ort nicht mehr verlassen müssen«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, dass die Zunge des Täufers in Gandersheim verbleibt, aber ein neues Reliquiar erhält – nicht mehr jenes, das so viel Kummer und Sorgen über uns alle gebracht hat.«
Jetzt sprach er nur noch zu Eila gewandt.
»Du hast dir zwei kluge Fürsprecherinnen gesucht, kleiner Habicht«, sagte er. »So hat dich doch Raimund immer genannt.«
Sie nickte. Es fiel ihr noch immer schwer, von ihm reden zu hören oder selber seinen Namen in den Mund zu nehmen, und der König schien zu spüren, was sie bewegte.
»Eine Taube, eine Lerche, welch interessante Wahl für ein Falkenweibchen! Was das verwandtschaftliche Blut der einen nicht bewirken konnte, sollten die Verse der anderen tun.« Sein Blick glitt zu Gerberga und Rose. »Mir gefällt eure List. Und euer Mut.«
Eilas Blick hing an seinem Gesicht. Wenn sie sich jetzt nicht überwand, wann dann?
»Raymond hat mir gesagt, du könntest verzeihen und vergeben«, sagte sie. »Noch kurz vor seinem Tod. Ich solle mich nicht von deinem Groll erschrecken lassen. Ich erschrecke nicht, Sire. So hab ich es ihm versprochen. Ich lege mein Leben in deine Hände. Du entscheidest, was nun zu geschehen hat.«
Seine Gesichtszüge wurden weich; offenbar fiel es ihm nicht leicht, seine Rührung zu verbergen.
»Es gibt keine Pfalz im ganzen Reich, die mir mehr am Herzen liegt als Magdeburg. Und auch die Siedlung dort wächst von Monat zu Monat. Der beste Platz für einen jungen Silberschmied, um sich dort mit seiner Familie niederzulassen, meinst du nicht?«
In Eilas Augen kam die Spur eines Lächelns zurück. Sie würde Malin holen können. Dann hatte auch die Alte eine neue Heimat.
»Mein bester Schmied hat zudem offenbar das Wanderleben gründlich satt«, fuhr der König fort. »Vielleicht wäre Magdeburg auch für Algin der rechte Ort.«
»Sire, ich …«
»Warte! Burg Scharzfels fällt nach altem Recht an Philippe, Raimunds legitimen Sohn, doch ich kann euch in Magdeburg zwei Häuser zur Verfügung stellen, mit etwas zusätzlichem Grund, auf den sich bauen ließe.«
Nun lächelte auch Eilas Mund. Sie drehte sich zu Rose um, nahm ihre Hand und drückte sie.
Mit leuchtendem Gesicht kam sie zum König zurück.
»Ein Taubenhaus, Sire«, sagte sie. »Lando und ich werden ein Taubenhaus haben.«
Historisches Nachwort
DAS 10. JAHRHUNDERT ODER SAECULUM OBSCURUM: EIN STIMMUNGSBILD
Saeculum obscurum wird das 10. Jahrhundert in der europäischen Geschichte oft genannt, »der dunkelste Fleck seit der Völkerwanderung bis zum lichtvollen Glanz der Renaissance«, sagt Georges Duby in seinem wundervollen Werk Die Zeit der Kathedralen , das ich allen Interessierten wärmstens empfehle. Nur wenige Menschen besiedelten damals das Land; auf dem Gebiet der heutigen
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