Liebe ist ein Kleid aus Feuer
»Das hat er tatsächlich, sonst wären sie …«
Mit einem wütenden Blick brachte Eila die Alte zum Schweigen.
»Dreimal hab ich mich schon abgeschrubbt von Kopf bis Fuß, aber es hilft nichts. Nichts hilft etwas! Ich fürchte, dieser widerliche Gestank wird ein Leben lang an mir haften bleiben.«
SEPTEMBER 946
VOR PARIS
Vorgestern um Mitternacht hatte sie ihren letzten Atemzug getan, und nun, da es inzwischen hell und dunkel geworden war und bereits eine neue Morgendämmerung anstand, waren sie bestrebt, sie endlich loszuwerden. An eine Bestattung in geweihter Erde war nicht zu denken, denn die Truppen König Ottos durchzogen das Land Hugo von Franziens als Eroberer. Außerdem hatte die Tote zu Lebzeiten gewerbsmäßige Unzucht betrieben und war nicht auf natürliche Weise gestorben. Zwei Kriegsknechte hoben ein flaches Grab am Wegrand für sie aus, ein gutes Stück vom Lager entfernt. Wie Abfall lag sie neben der Grube, in einen geflickten Umhang gehüllt, den der Morgenwind an einer Seite aufgeschlagen hatte.
Sigmar, auf dem Rückweg von Algins Feldesse, die er mit dem Blasebalg die halbe Nacht am Glühen gehalten hatte, kam näher und starrte die Tote an. Die Male an ihrem fleischigen Hals, um einiges dunkler als die Sommersprossen, mit denen er übersät war, konnte man nicht übersehen. Aber nicht die Krankheit hatte sie dahingerafft, sondern brutale Männerhände.
Sigmars Müdigkeit war mit einem Mal verflogen. Jetzt fühlte er sich wach bis in die Fingerspitzen.
Abgesehen von ihrem roten Haar war sie auch zu Lebzeiten nicht sonderlich anziehend gewesen, und der Tod hatte ihre Gesichtszüge noch vergröbert: die breite Stirn, die kurze, stumpfe Nase, die aufgeworfenen Lippen, hinter denen sich abgekaute Zähne verbargen. Aber ihr Lächeln hatte der Knappe als rein und mädchenhaft empfunden. Immer wieder hatte sie es ihm einladend geschenkt, doch er war zu scheu gewesen oder einfach nur zu feige, um sich zu ihr zu schleichen.
Ihren Namen kannte er. Kati hatte jedes Mal die prallen Brüste noch mehr herausgedrückt, wenn er mit seinen schweren Säcken an ihr vorbei musste. Ihr Blick hatte ihn sehnsüchtig und schwach zugleich werden lassen, war ihm tief in die Lenden gefahren, und nachts, wenn er wach im Zelt lag, weil das Schnarchen seines Ritters ihn nicht schlafen ließ, stellte er sich vor, sie zu küssen und zu streicheln, bis seine Erregung derart wuchs, dass er unter die Decke greifen und sich selber erlösen musste.
Falls Raymond etwas davon mitbekam, ließ er es sich nicht anmerken. Ihn hatte Sigmar niemals zu Kati oder den anderen Feldhuren gehen sehen, viele der anderen Männer dagegen umso häufiger, Ritter kaum seltener als ihre Knechte. Erst nach der Belagerung von Reims hatte die Stimmung umgeschlagen. Die lange Abwesenheit von zu Hause, die schier endlose Belagerung der Stadt und nach der Wiedereinsetzung von Erzbischof Artold schließlich der stramme Marsch durch das Land Hugos von Franzien schlug allen aufs Gemüt. Statt freudiger Siegerlaune breitete sich unter den Rittern und Kriegsknechten mehr und mehr Verdruss aus. Viele litten an Magenverstimmung und Durchfall; andere klagten über brennende Schmerzen beim Wasserlassen. Jetzt wurden die Huren plötzlich argwöhnisch beäugt; kaum einer wollte sie noch besuchen.
Dass es ausgerechnet Kati erwischt hatte, erfuhr Sigmar durch Zufall. Bernhard von Weißenborn war polternd bei seinem Waffenbruder eingefallen, um sich über sie zu beschweren.
»Sie haben meine Männer auf dem Gewissen, diese gottverdammten Luder! Der Teufel soll sie holen! Denn in die Hölle gehören sie nun mal!« Er hatte mehr getrunken, als ihm gut tat, und war übelster Laune. »Und diese Rote mit den dicken Brüsten war die Schlimmste von allen.«
»Einer wehrlosen Frau Gewalt anzutun, nachdem man ihr zu seinem Vergnügen beigewohnt hat, ist mehr als feige. Weißt du, wer es getan hat?«
»Natürlich nicht. Aber verdient hat es die kleine Schlampe allemal.«
»Wer zu Huren geht, muss damit rechnen, krank zu werden.« Raymond klang unbeeindruckt.
Bernhard starrte ihn wütend an. »Sag nur, du hast noch nie bei einer Hübschlerin gelegen!«
»Wir haben beide unsere Dummheiten begangen. Aber inzwischen sollten wir alt genug sein, um Bescheid zu wissen.« Raymonds Stimme war schneidend. »Wer sagt überhaupt, dass die Krankheit von der kleinen Roten stammt? Was, wenn ihr euch täuscht? Wollt ihr sie dann alle umbringen? Weil sie euch jetzt zu nichts mehr
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