Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
lachte.
    »Musst du auch nicht«, sagte Raymond ungewohnt weich. »Nimm sie mit! Aber vergiss dabei nicht, dass die beiden Mädchen keine Mutter haben!«

PFINGSTEN 947
GANDERSHEIM
    »Du bist gewachsen, Roswitha.« Almuts Stimme war sanfter und klang gleichzeitig kräftiger, als das Mädchen sie in Erinnerung hatte. »Jetzt bist du fast so groß wie ich.«
    »Und du siehst glücklich aus«, sagte Rose. »Deine Augen sind hell, und der Mund hat all seine Härte verloren.«
    Die Kanonisse, die ein hochgeschlossenes graues Kleid trug und die dunkelblonden Haare mit einem Schleier bedeckt hatte, streckte die Hand aus, als wolle sie den Kopf ihrer Nichte berühren, hielt aber mitten in der Bewegung inne.
    »Ja, ich bin glücklich hier«, sagte sie. »Das siehst du ganz richtig. Wenn du das Herz des Lebens erreichst, findest du die Schönheit in allen Dingen.« Sie lächelte. »Siebenmal am Tag singen wir das Lob Gottes. Dazwischen schweigen wir zumeist – freiwillig. Inzwischen hab ich gelernt, dass Gesang das Gespräch liebender Herzen ist.«
    Ein sanfter Wind strich durch die Obstbäume, die im kleinen Stiftsgarten wuchsen. Aus der Nähe kam Vogelgezwitscher. Die hohen steinernen Mauern, die Rose vorhin noch als trennend und abwehrend empfunden hatte, schienen nun warmen Schutz zu bieten. Es erschien ihr unmöglich, dass eine Horde gieriger Steppenreiter sie jemals durchbrechen könnte. Alles wirkte so, als ob es unter dem besonderen Schutz Gottes stehe, der hier seinen Dienerinnen einen sicheren, heilen Ort der Kontemplation geschaffen hatte.
    Auf einmal war Rose froh, dass Raymond sie durch die Pforte geschoben hatte, ohne sich um ihre Einwände zu kümmern. Er hatte nichts von seinem Plan verraten, den ganzen Weg nicht, seit sie im Morgengrauen von der Pfalz Werla nach Gandersheim aufgebrochen waren. Nicht einmal Eila hatte sie begleitet; sie sollte in Gesellschaft anderer Hochzeitsgäste später nachkommen. Nur Raymond und sie und Belle waren unterwegs, die Stute, die ihre doppelte Last gutmütig und sicher trug. Der schnelle Ritt hatte Roses Haar zerzaust und sie zum Schwitzen gebracht, aber als sie dann vor dem Stift angelangt waren, fühlten sich ihre Hände und Füße vor lauter Aufregung plötzlich eiskalt an.
    »Ich hab dich vermisst«, sagte Rose, und wusste plötzlich, dass es die Wahrheit war. All die Vorwürfe, all der Schmerz, all die Kränkungen, die sie gerade noch gequält hatten, schienen sich aufzulösen. »Dabei lebe ich gern auf Burg Scharzfels. Ich hab dort eine Freundin gefunden – Eila. Und einen großen Freund dazu, ihren Vater Raymond.«
    Almut nickte leicht abwesend.
    »Das Draußen wird so nebensächlich«, sagte sie, »wenn du erst einmal eine Zeit hier bist. Am besten ist die klare Stille. Das Schweigen trennt das Wichtige vom Unwichtigen. Du fühlst, wie du immer leerer wirst, bis diese Leere sich schließlich in Fülle und Erfüllung wandelt – das Schönste, was ich jemals erleben durfte!« Ihr Blick wurde lebhafter. »Aber was rede ich da? Du wirst mich ja doch nicht verstehen können.«
    »Vielleicht doch«, sagte Rose. »Wenn man vor einem leeren Pergament sitzt und wartet, bis die Worte zu fließen beginnen, ist es auch still – und irgendwie heilig. Alles scheint möglich zu sein. Viel mehr, als man schließlich niederzuschreiben vermag.«
    »Du schreibst?« Almut schien auf einmal interessiert.
    »Ich versuche es.« Der Blick des Mädchens glitt über die sonnenbeschienenen Bäume. »Du kannst von deiner Zelle aus in den Garten sehen?«
    »Das können wir alle. Der hortus ist das Herz des Stifts. Er labt uns jeden Tag, besser als die feinsten Speisen es könnten.«
    » Hortus , der Garten.« Rose lächelte. »Eines meiner Lieblingswörter in dieser wunderbaren Sprache. Ich wünschte, ich würde sie schon besser können. Bruder Rochus, unser Lehrer, behauptet zwar immer, ich sei schon einigermaßen fortgeschritten, aber ich weiß selber am besten, was alles noch fehlt.«
    »Komm«, sagte Almut und sprang von der kleinen Holzbank auf, »ich will dir etwas zeigen!«
    Durch schmale Gänge führte sie der Weg über eine Treppe in den ersten Stock. Almut stieß eine Tür auf, und Rose hielt sich vor Überraschung die Hand vor den Mund.
    »Unser Scriptorium«, sagte die Kanonissin voller Stolz.
    Roses Blick flog über die tintenbefleckten Pulte, die hohen Regale, in denen sich gerollte Pergamente stapelten und stockfleckige Lederrücken an stockfleckige Lederrücken reihten. Beim

Weitere Kostenlose Bücher