Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Weitergehen entdeckte sie auf einer Lade verschiedene Farbtiegel, aus denen ihr Gold, Purpur und Blau entgegenleuchteten. Die einfallende Sonne malte helle Kringel auf den steinernen Fußboden. Es war so friedlich und still, dass Rose am liebsten nie mehr fortgegangen wäre.
»Im Winter kann es hier lausig kalt werden«, unterbrach Almuts schleppende Stimme Roses Verzückung. »Dann frieren dir fast die Finger ab, weil der steife Ostwind durch alle Ritzen pfeift, und wir brauchen Schaffelle als Unterlage, weil unsere Füße sonst zu Eisklumpen erstarren. Aber im Sommer, wenn es warm und hell ist, lebt und arbeitet es sich hier einfach herrlich. Schwester Martha, die alles hier leitet, ist manchmal so versunken in ihre Tätigkeit, dass sie sogar die Glocken zum Gebet überhört.«
Rose hatte sich halb abgewandt, als müsse sie ihre Röcke richten. Dann richtete sie sich wieder auf, plötzlich eine Pergamentrolle in der Hand, die sie Almut entgegen hielt.
»Ich hab dir etwas mitgebracht«, sagte sie. »Erst heute Nacht ist es fertig geworden. Der Anfang einer kleinen Legende. Über die Jungfrau Maria, die Mutter aller Mütter.«
Almut machte keine Anstalten, die Rolle entgegenzunehmen.
»Wir hatten einen schlimmen Überfall im letzten Sommer«, fuhr Rose fort. » Turci , die alles verwüstet und gestohlen haben. Sie hatten mich schon aus dem Versteck gezogen, in das ich mich geflüchtet hatte, und begannen mich überall anzutatschen. Wäre nicht das große Fallen über mich gekommen, so hätten sie vielleicht auch mich …« Sie atmete heftig aus. »Sie hat uns geholfen«, fuhr sie fort. »Ich bin mir ganz sicher. Es kann niemand anderer als die himmlische Jungfrau gewesen sein.«
»Ich hab dich nicht besucht«, sagte Almut. »Kein einziges Mal. Ich war sogar froh, dass ich dich nicht mehr sehen musste. Dein unglückliches kleines Gesicht – und meinen übel gelaunten Bruder, der nur noch auf der Flucht war. Ich wusste nicht mehr weiter. Doch dann war da auf einmal diese Stimme in mir, diese leise, sanfte, diese unnachgiebige Stimme, die sich nicht mehr zum Schweigen bringen lassen wollte, Tag und Nacht, und schließlich bin ich ihr gefolgt.«
Jetzt berührte ihre Hand den Kopf des Mädchens, ganz leicht, ganz warm. Es ist nicht wie damals mit der Mutter, dachte Rose, aber beinahe ebenso schön. So lange hatte sie sich danach gesehnt!
»Es tut mir Leid, Roswitha. Ich hab nur an mich gedacht. Ich schäme mich, dass ich so eigennützig war, aber ich konnte nicht anders.«
Sie zog die Hand wieder zurück. »Willst du nicht endlich lesen, was ich geschrieben habe?« Jetzt hielt Rose der Tante das Pergament fast unter die Nase. »Ich würde so gern deine Meinung hören.«
Almut begann zu lächeln. Der feine Schleier, der ihr Gesicht umrahmte, ließ es hell, beinahe mädchenhaft wirken.
»Das will ich gern.« Sie nahm die Rolle entgegen. »Ich bin neugierig, was du …«
Die Tür ging auf, und eine grauhaarige Kanonisse kam herein, die ein Mädchen in einem blauen Kleid mit breiten Goldborten vor sich herschob.
»Der König wird langsam ungeduldig«, sagte sie. »Wir sollten ihn nicht noch länger warten lassen.«
»Sind denn schon alle angekommen?«, fragte Almut.
»Das Brautpaar, der Hof und die meisten Ritter sind da. Aber diese Kleine hier« – sie gab dem blonden Mädchen einen Schubs – »ist noch viel ungeduldiger als ihr königlicher Onkel. Sie wollte auf der Stelle das ganze Stift sehen, und ich hab es ihr gezeigt.«
Tief liegende veilchenblaue Augen richteten sich auf Rose.
»Wer bist du denn?«, fragte das Mädchen. »Wohnst du auch hier? Aber du sieht noch so jung aus.«
»Ich werde Rose genannt und bin nur zu Besuch. Und wer bist du?«
»Gerberga, Heinrichs Tochter, die Nichte des Königs, und ich werde einmal …«
»… Äbtissin dieses Stiftes werden, wenn ich groß genug bin«, beendete Almut den Satz.
Als die Holztaube von der Kirchendecke heruntergelassen wurde, entschlüpfte manchen der Gläubigen ein Schrei. Sie schien sich aus eigener Kraft herabzusenken, obwohl sie unübersehbar an einem kräftigen Seil hing, aber ihre Schwingen bewegten sich gleichmäßig, weil warme Luft durch eine Öffnung in den Holzkörper strömte.
Der Heilige Geist hatte Gestalt angenommen!
Rose war so bewegt, dass ihre Augen feucht wurden. Niemals zuvor hatte sie einer so feierlichen Pfingstmesse beigewohnt, noch dazu einer, die gleichzeitig eine Trauung war, und als der Priester vorne am Altar nun
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