Liebe ist kein Beinbruch
gegeben. Sie hatte nie an der Liebe ihrer Mutter gezweifelt, doch hatte sie sich immer nach Berührungen, nach Liebkosungen gesehnt. Als sie Porters Blick auffing, wollte sie die Augen abwenden, weil sie fürchtete, er könne alles sehen, was sie empfand. Aber es gelang ihr nicht, ihren Blick von ihm zu nehmen. Nach ein paar Sekunden zwinkerte er ihr zu und drückte die Hand seiner Mutter noch einmal.
„Wir müssen weiter, Mom. Dr. Salinger war so freundlich, mir einen Termin bei einem sehr guten Orthopäden zu besorgen, und ich will nicht zu spät kommen.“
„Nein, natürlich nicht“, stimmte seine Mutter zu, die noch immer ganz außer sich war.
Er kam auf die Beine und schnappte sich seine Krücken. Nikki war froh, dass sie endlich gingen. Sie lief vor ihm her zur Tür, wo sie noch einmal von Emily Armstrong geherzt wurde, ehe die alte Dame sich von den beiden verabschiedete.
„Ich bemerke, wie er Sie ansieht“, flüsterte sie Nikki ins Ohr.
Nikki musste über die mütterliche Beobachtung lächeln. Selbstverständlich sah Emily nur das, was sie sehen wollte. „Ich bin froh, dass ich Sie kennenlernen konnte, Mrs Armstrong.“
Emily schnaubte. „Das klingt, als würden wir uns nie mehr wiedersehen. Wir werden uns doch sicherlich treffen, wenn ich nach Sweetness komme. Und Sie sind hier jederzeit herzlich willkommen.“
Nikki spürte Porters Blick auf sich. Sie würde nicht mehr in Sweetness sein, wenn Mrs Armstrong wieder dorthin zog. Aber sie wollte die alte Dame nicht belügen, also lächelte sie nur. „Auf Wiedersehen.“
Sie ging schon mal voraus zum Van und schloss ihn auf, damit Mutter und Sohn Zeit für einen ungestörten Abschied hatten. Die Gelegenheit war günstig, um ihre Mailbox abzuhören und ihre Textnachrichten zu überfliegen. Ihr Herz schlug schneller, als sie bemerkte, dass die meisten Anrufe von Darren kamen. Immer hatte er aufgelegt, ohne eine Nachricht zu hinterlassen – bis auf das letzte Mal.
„Nikki, hi, ich bin’s. Ich würde wirklich gern mit dir über ein paar Dinge reden. Ruf mich an, wenn du Zeit hast … bitte. Ich hoffe, dir geht es gut.“
Allein der Klang seiner Stimme wühlte sie auf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihre Knie wurden weich. Was wollte er? Ihre Vergebung, damit er sich wegen seiner Untreue nicht so schlecht fühlte? Sie bezweifelte, dass seinschlechtes Gewissen ihm zu schaffen machte. Wahrscheinlicher war, dass er sich Sorgen um sein berufliches Ansehen zu machen begann und sich um Schadensbegrenzung bemühte. Dazu brauchte er ihre Hilfe.
Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die Tasten des Handys und spielte mit dem Gedanken, Darren zurückzurufen. Stattdessen hörte sie eine Nachricht von Amy Bradshaw ab, die sie übersprungen hatte. Ihre Freundin hatte nur angerufen, um Hallo zu sagen und zu hören, ob Nikki sich noch um andere Tunichtgute kümmerte. Nikki lächelte. Beim Klang von Amys Stimme hob sich ihre Laune schlagartig. Sie würde sie am Abend zurückrufen, sobald sie im Hotel eingecheckt hatte.
Der Gedanke an eine lange Dusche mit unbegrenzt viel heißem Wasser ließ sie vor Vorfreude aufseufzen.
Nikki steckte das Handy wieder ein und blickte zurück zum Bungalow. Mrs Armstrong hatte die Arme gehoben, um Porters Gesicht in beide Hände zu nehmen. Sie sagte etwas, das Porter ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Die Szene rührte sie, auch wenn sie sie nicht nachempfinden konnte. Sie kam sich wie eine Wissenschaftlerin vor, die ein Ritual beobachtete, das sie nicht verstand – selbst wenn sie es gern verstanden hätte. Schließlich wandte er sich zum Van und kam auf seinen Krücken zu ihr an die Beifahrerseite, wo sie für ihn die Tür aufhielt. Sie nahm seine Krücken und half ihm, sich zu setzen.
„Tut mir leid wegen des Missverständnisses mit dem Ring“, sagte er. „Mutter hat eine sehr rege Fantasie.“
„Kein Problem“, erwiderte sie locker. „Ich kann verstehen, warum sie es falsch verstanden hat.“
„Weil wir tatsächlich ein perfektes Paar abgeben?“, reizte er sie mit rauer Stimme.
Nikki brachte ein schiefes Lächeln zustande. „Nein. Sitzt du richtig?“
Als er nickte, schloss sie die Tür mit ein bisschen mehr Nachdruck, als nötig gewesen wäre, und ging um den Wagen herum zur Fahrerseite. Sie stieg in den Van und startete den Motor. Darrens Stimme hallte in ihrem Kopf wider, und Porters starker Körper war in ihrer Nähe.
Es würde eine lange Fahrt werden.
27. KAPITEL
I m Buckhead-Ärztehaus
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