Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
Erfahrung bereits zweimal gemacht hat. Noch dreißig Jahre nach dem Tod ihres Mannes treten ihr die Tränen in die Augen, als sie erzählt, dass er kurz vor Thanksgiving, als er schon im Sterben lag, den Krankenhaus-Nikolaus für seine Kinder engagiert hat.
Die Frau erzählt uns, bei ihren Tragödien sei ihr klargeworden, dass man sich um sich selbst kümmern muss und nicht auf das hören sollte, was andere Menschen für richtig halten. Sie erzählen einem, man solle Weihnachten genauso feiern wie immer, man solle den Kindern ein lächelndes Gesicht zeigen, man solle daran arbeiten, dass man den Verlust ein Jahr danach überwunden hat. Aber seit dem Tod ihres Mannes sind genau dreiunddreißig Jahre vergangen, und obwohl der Schmerz mit den Jahren geringer wird, kommt man über den Tod eines geliebten Menschen nie ganz hinweg. Sie sagt, dass man nach einem solchen Verlust nie mehr so wie vorher wird.
»Feiertage bedeuten Familie«, fährt sie fort, »aber dieses Jahr wird jemand nicht dabei sein, der sonst immer da war. Das lässt die Trauer wieder aufleben. Die Toten gehören auch nach ihrem Tod noch zur Familie.« Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Grandma sich unter ihrer Brille die Augen mit einem Taschentuch abtupft.
»Aber«, erklärt die Vortragende, »Hoffnung ist das Einzige, was uns durch die schweren Zeiten in unserem Leben trägt. Wir können hoffen, dass die Feiertage auch einmal wieder Freude bringen statt verzweifelter Traurigkeit. Und wir können eine besondere Kerze auf den Tisch stellen oder etwas an den Weihnachtsbaum hängen, um auszudrücken, was uns diese Person bedeutet.« Wir können sie zwar nicht mehr sehen, aber wir können mit einem Schmuckstück oder einer Pflanze ein sichtbares Zeichen setzen, dass der Verstorbene immer noch in unserem Herzen und unserem Heim präsent ist. Das trägt dazu bei, dass wir uns an unsere Toten erinnern, und hilft, die Hoffnung zu erhalten, dass man sich im Himmel oder in einem anderen Leben wiedersieht.
Am Ende ihres Vortrags hält sie eine kleine Zeremonie ab, zündet vier Kerzen an und spricht dazu ein paar Zeilen:
Wir zünden diese Kerzen dir zu Ehren an, du geliebter Mensch. Wir entzünden eine für Trauer, eine für Mut, eine für Erinnerungen und eine für Liebe.
Diese erste Kerze repräsentiert unsere Trauer. Der Schmerz, dich verloren zu haben, sitzt sehr tief. Er erinnert mich an die Tiefe meiner Liebe zu dir.
Diese zweite Kerze repräsentiert unseren Mut, uns dem Kummer zu stellen, einander zu trösten, unser Leben zu ändern.
Diese dritte Kerze ist unsere Erinnerung an dich – die Zeiten, in denen wir gelacht haben, die Zeiten, in denen wir geweint haben, die Zeiten, in denen wir wütend aufeinander waren, die dummen Dinge, die du getan hast, die Fürsorge und die Freude, die du uns geschenkt hast.
Diese letzte Kerze ist das Licht der Liebe. Tag für Tag werden wir an diesem Weihnachtsfest den besonderen Platz in unserem Herzen ehren, der immer für dich reserviert ist. Wir danken dir für das Geschenk, das du jedem von uns mit deinem Leben gemacht hast.
Ich tätschele Grandmas Schulter. Wie die anderen in der Gruppe schnieft auch sie laut. Die Frau geht an den Tischen entlang, um die Votivkerzen anzuzünden, die vor jedem von uns stehen. Ich sitze am Ende des Tisches, deshalb zündet sie meine Kerze zuerst an. »Wir entzünden diese Kerze zur Erinnerung an …«
Oh, ich muss antworten. »George Gasbarre.«
Sie tritt zu Grandma. »Wir entzünden diese Kerze zur Erinnerung an …«
»Grandma holt tief Luft. »George … Gasbarre.«
Dann darf sich jeder eine durchscheinende Kugel aus einer Schachtel nehmen. Sie bittet uns, die Kugel zu öffnen, eine kleine Nachricht für unseren geliebten Toten zu schreiben und sie hineinzustecken. Ich sage zu Grandma: »Was für eine Farbe möchtest du haben?«
»Grün oder blau.«
»Ich auch. Nimm du doch zuerst, und ich nehme dann die andere.«
Grandma wählt die grüne Kugel, wahrscheinlich weil es sie an Grandpas Firmenlogo erinnert und weil es seine Lieblingsfarbe war.
Und mich erinnert die Farbe Blau an Grandpas Augen – und auch ein wenig an Chris’ Augen.
Ich falte meinen Zettel so, dass niemand die Worte lesen kann, aber Grandma überrascht mich, weil sie den Text nach außen durchscheinen lässt. Ich frage mich, ob sie wohl gerne wissen möchte, was ich geschrieben habe. Auf meinem Zettel steht, dass ich alles, was ich tue, für ihn tue, dass ich weiß, dass er sich um jedes Detail in
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