Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
sei so offen und direkt, wie man es in ganz Amerika nicht fände. »Selbst die Leute von der Klinikverwaltung, Kris. Mitten in einem geschäftlichen Gespräch legen sie dir auf einmal die Hand auf den Arm.« Er legt seine Hand auf meine und lässt sie dort liegen. Ich fühle mich wie elektrisiert.
Unwillkürlich räuspere ich mich und sage leise: »Sie müssen sehr freundlich sein.«
»Ja, das sind sie.« Er zieht seine Hand wieder zurück.
Zu Hause fahren wir am Krankenhaus vorbei, weil er nach einer sechzehnjährigen Patientin schauen möchte, die mit dem Truck ihres Freundes gegen einen Baum gefahren ist. Chris stellt mich einfach als Krissy vor und macht keine Anstalten, meine Anwesenheit zu erklären. Er nimmt dem Mädchen den Verband ab, um ihren gebrochenen Kiefer zu inspizieren. »War da vielleicht ein bisschen Alkohol im Spiel, Süße?«, fragt er das Mädchen, das seinen tätowierten Arm schützend um eine Akustikgitarre gelegt hat.
Durch ihre verdrahteten Zähne antwortet sie: »Weiß nicht.«
»Verstehe.«
»Ja, vielleicht ein bisschen Alkohol.«
»Okay. Ich muss nur wissen, was, weil dein Körper dann bei der Behandlung möglicherweise anders reagiert. Ich will dich nicht anzeigen.«
»Okay.«
Chris bittet das Mädchen, etwas für uns auf ihrer Gitarre zu spielen. »So gut bin ich nicht«, antwortet sie. Sie trägt ein Led-Zeppelin-T-Shirt und weite Jeans mit ausgefranstem Saum.
»Bitte«, schmeichle ich. »Ich höre so gerne Gitarre.« Ich sehe ihr an, dass sie überlegt, aber dann zuckt sie mit den Schultern und schlägt ein paar Akkorde an. Bei der letzten Note spielt sie ein melancholisches, einsames Vibrato.
»Siehst du?« Ich lächele sie an. »Das war großartig.«
»Ist das von dir?«, fragt Chris ungläubig.
»Ja.« Sie kichert verlegen. Chris schüttelt ihr die Hand und verspricht, am Wochenende noch einmal nach ihr zu schauen. »Oh, hey«, fügt er dann hinzu. »Warst du in der letzten Zeit häufig auf der Toilette?«
Sie überlegt kurz. »Ja, ich glaube schon.«
»Okay. Ich sage den Schwestern Bescheid, dass sie deine Infusion abmachen sollen. Du hast ein bisschen zu viel Flüssigkeit.«
»Hey, Doktor«, sagt das Mädchen. »Sie müssen mich hier bald herauslassen. Ich bin nicht versichert. Und meine Eltern haben auch so schon genug Probleme.«
»Wir kümmern uns darum, Schätzchen«, erwidert Chris. Ich höre es gerne, wenn er so liebevoll mit seinen Patienten redet. »Du musst schnell wieder gesund werden, und dafür muss ich dich noch eine Woche hierbehalten.«
Arm in Arm verlassen wir das Krankenhaus, und es bereitet mir diebische Freude, dass alle Krankenschwestern die Hälse recken und sich fragen, wer wohl die Frau an der Seite von Dr. Christopher ist.
Durch diese Krankenhausflure bin ich in der Woche zuvor auch mit Grandma gegangen, als wir auf dem Weg zu dem Trauervortrag waren. Da jedoch sind wir an jeder Ecke stehen geblieben und haben uns ratlos die Köpfe gekratzt, weil wir nicht wussten, in welche Richtung wir gehen sollten. »Dein Großvater wusste immer, wo wir hingehen mussten.«
»Ich weiß«, erwidere ich. »Das habe ich leider nicht von ihm geerbt.« Ich war jedoch beeindruckt, als sie uns instinktiv zum richtigen Raum führte. Mit Chris ist es allerdings etwas ganz anderes. Schnell eilen wir durch die Gänge, und mit seinem Ausweis kann er sogar festverschlossene Türen öffnen. Während ich neben ihm herlaufe, ist es nicht so sehr sein Status, der mich beeindruckt, als vielmehr sein Wissen und sein Können. Woher wusste er, dass das minderjährige Mädchen getrunken hatte? Und wie hat er sie dazu gebracht, ihm das zu gestehen, obwohl sie sich dadurch in diese missliche Lage gebracht hat und noch nicht einmal krankenversichert ist? Und wie kam er darauf, sie zu fragen, ob sie sich unwohl fühlt, weil sie zu oft auf die Toilette gehen muss? Chris hat eine Art, mit den Patienten umzugehen, die dafür sorgt, dass ich mich einfach sicher bei ihm fühle.
Wenn mir je etwas passieren sollte, beschließe ich, möchte ich zu ihm gebracht werden. Auf dem Parkplatz bittet er mich, ihm die Autoschlüssel zu geben, damit er uns nach Hause an den See fahren kann. Es beunruhigt mich nicht, dass er seit mehr als einem Tag nicht mehr geschlafen hat; ich vertraue ihm blind.
Er setzt mich zu Hause ab, und ich frage mich, warum er aussteigt, als ich zum Haus gehe. »Kris?«, ruft er mir nach.
Ich drehe mich um.
»Ich habe etwas für dich.« Er hält etwas in Händen,
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