Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
das in Papier eingeschlagen ist.
Ich blicke ihn an. »Was ist das?« Er legt mir den Beutel in die Hände. »Soll ich ihn gleich aufmachen?«
Er nickt.
Ich ziehe einen weichen Schal heraus, der sich bis zu meinen Füßen ausrollt. Er ist dunkelgrau, bestickt mit winzigen rosafarbenen und blauen Blütenknospen, die durch eine zarte, grüne Ranke miteinander verbunden sind. Unwillkürlich drücke ich ihn an die Nase. Er riecht ein wenig nach ihm. »Chris«, flüstere ich. »Danke. Das ist der schönste Schal, den mir ein Mann je geschenkt hat.« Es stimmt.
»Er ist aus reiner Kaschmirwolle.«
»Ich hätte mir selbst keinen schöneren aussuchen können.«
Er sagt, er habe ihn in einer asiatischen Hauptstadt entdeckt und er habe ihn gleich an mich erinnert. Ich umarme ihn. Am liebsten würde ich weinen! Sei nicht albern! Denk daran, was wir sind! Trotzdem muss ich mich zwingen, mich von ihm zu lösen. Als ich mich wieder zum Gehen wende, eilt er zu seinem Auto zurück.
»Chris?«
Er dreht sich um.
»Deine Familie ist ja nicht hier. Hast du am Donnerstag schon etwas vor?«
»Donnerstag … was ist denn am Donnerstag?«, fragt er.
»Thanksgiving.«
»Ach ja, Thanksgiving! Mmh …« Er überlegt und teilt mir mit, dass er am Freitag wieder nach New Jersey muss, aber Thanksgiving noch nichts vorhabe.
»Du bist herzlich zu uns eingeladen. Wir essen bei meiner Tante und meinem Onkel, aber erst am Abend, damit man den Tag noch hat, um alles zu erledigen, was so anfällt.«
Er meint, das klänge perfekt, bedankt sich für die nette Einladung und verspricht, etwas mitzubringen.
Ich renne durchs Haus, als stünde ich in Flammen, während Chris in seinem SUV wegfährt. » Mom!« , brülle ich. » Chris kommt an Thanksgiving!«
Am nächsten Morgen gehe ich online und bestelle eine Seidenbluse, mit der ich schon lange liebäugele. Sie ist grün und hat romantische Puffärmel. Mit einer schwarzen Hose wird sie das perfekte Thanksgiving-Outfit sein. Danke für diesen netten, gebildeten Mann, der diesen wichtigen Feiertag mit meiner Familie verbringt. Und obwohl mich die Wildlederstiefeletten, die mir ebenfalls ins Auge stechen, ein kleines Vermögen kosten, bestelle ich sie auch gleich. Thanksgiving ist schon in fünf Tagen – ich sollte mir besser schon mal Unterwäsche und Schmuck herauslegen.
Am Sonntag ruft meine Tante an und fragt, ob es irgendetwas gäbe, was Chris nicht isst, und ob er einen Lieblingscocktail hätte. »Er ist wie ich, er isst alles. Aber er trinkt kaum Alkohol«, erwidere ich. Ich klemme mir das Telefon zwischen Wange und Schulter und ziehe einen Push-up- BH aus der obersten Kommodenschublade. Kaum hat meine Tante aufgelegt, ruft Grandma an und redet aufgeregt auf mich ein. »Ich weiß, Grandma, ich bin auch ganz aus dem Häuschen! Der arme Kerl hatte gar nichts vor!«
Donnerstagmorgen gehe ich laufen, dann mache ich mein Zimmer sauber. Chris und ich wollten noch ein paar Unterlagen durchsehen, bevor wir zu meiner Familie gehen, und mein Wohnraum soll perfekt aufgeräumt sein, da er ihn zum ersten Mal zu sehen bekommt. Da ich schon mal dabei bin, räume ich auch meine persönlichen Akten und meinen Schrank auf und werfe Dinge weg, die ich schon seit dem College entsorgen will.
Gerade als ich meine Putzsachen zusammenpacke, stelle ich fest, dass ich einen Anruf verpasst habe. Ah, das ist er, wahrscheinlich will er die Uhrzeit bestätigen.
»Hi, Kris!« Jaaa! »Ich wünsche dir ein frohes Thanksgiving. Ich verbringe meinen Tag damit, mich auf diesen Wangenknochen-Kurs in Philly vorzubereiten …« Seine Stimme wird leiser, und er klingt müde. »Und hör mal, ich sage es nicht gerne, aber rechnet heute Abend nicht mit mir. Ich bin heute Nacht zu einer Operation gerufen worden, und ich bin völlig erschöpft.« Oh nein … »Ich lege mich jetzt etwas hin und rufe dich später an, um dir Bescheid zu sagen, ob ich kommen kann.«
Mir wird das Herz schwer. Wie ein Zombie gehe ich hinunter in die Küche. »Er weiß nicht, ob er kommen kann«, sage ich betrübt zu meiner Mutter, die gerade braunen Zucker auf einen Berg von Süßkartoffeln sprenkelt.
»Oh nein! Oh, Liebes … was hat er gesagt?«
Ich schüttele den Kopf. »Er ist gestern Nacht zu einer Operation gerufen worden, und er ist müde und muss sich auf seine Reise morgen vorbereiten …«
»Aber es ist doch Thanksgiving«, erwidert Mom, sichtlich erschüttert. »Irgendwann muss er sich doch auch einmal von der Arbeit erholen. Kommt er
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