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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sein Gesicht brannte noch von dem vielen Terpentin, mit dem er die Farben von der Haut gewaschen hatte. Einen halben Kanister hatte er dafür verbraucht. Man mußte in Arles neue Farben und Leinwand kaufen, neues Terpentin und neue Pinsel.
    »Warum fragst du?« sagte sie.
    »Ich hätte nie zugelassen, daß du dich meldest.«
    »Dann wären wir wirklich flüchtende Mörder geworden …«
    »Menschen«, sagte Pierre langsam. »Menschen, Ev! Manchmal frage ich Gott, warum wir alle so sind …«
    »Du fragst Gott?«
    »In letzter Zeit, ja. Von einem bestimmten Augenblick an bekommt man einen besonderen Kontakt zu Gott.«
    »Und welcher Augenblick ist das?«
    »Das müßte bei jedem Menschen verschieden sein.«
    »Und bei dir ist es wann gewesen?«
    »Vor zwei Jahren. Ich wurde an einen Hund erinnert …«
    Es klang wie ein Witz, aber es war die Bitternis der Wahrheit selbst. Nur begriff es Ev nicht; wer sollte es schon begreifen, wenn er nicht wußte, was nur Pierre allein kannte und manchmal selbst nicht begreifen konnte.
    »Komm her, Bouillon«, sagte Pierre. Er streckte die Hand aus und Bouillon kroch zu ihm und legte seine feuchte, kalte Schnauze gegen seine Schulter. »Du hast Ev beschützt und einen Mann getötet. Verlaß Ev nie, Bouillon, hörst du …«
    Am nächsten Morgen, ganz früh, beim Morgengrauen, noch bevor die Sonne den weiten Himmel vergoldete und die Lerchen hochstiegen in das unendliche Blau, verließen sie die Töpferei des ›Tonkopfs‹. An seinem Grab, am Fuße eines sandigen Hügels, hielten sie ihr Auto ›Mes Rues‹ an und sahen stumm auf die Stelle, die sich in nichts von anderen Erdstellen unterschied. Sogar einen Busch hatte Pierre darauf gepflanzt.
    Nur Bouillon spürte etwas. Er kroch auf den Hintersitz des Wagens, rollte sich zusammen, legte die Schnauze zwischen die Vorderpfoten und begann ganz leicht zu zittern.
    *
    Wer die Camargue nicht kennt, dieses riesige Mündungsdelta der Rhône mit seinen Inseln, Halbinseln und Seen, seinen Lagunen und Salzpfannen, seinen weiten Steppen und Sümpfen, seinen Herden schwarzer Stiere und den Schwärmen von Millionen rosagefiederter Flamingos, den buntschillernden Enten in unzähligen Tümpeln, dem Galopp der mittelgroßen, stämmigen weißen Pferde, auf denen die Gardians, die Stierhirten, sitzen und ihre Herden über die Salzsteppen treiben, wer diesen flimmernden Himmel über Meer und Schilf, Seen und Land nicht gesehen hat, nicht die kleinen Inseln kennt, auf denen blaue Disteln blühen, Tamarisken und phönizischer Wacholder, wer nicht die stolzen Silberreiher und Stelzen in den Tümpeln stehen sah oder die Schwärme der Bienenfresser wie Federwolken über sich erlebt hat, wer diesen Zauber der Urlandschaft nicht gerochen und mit eigenen Händen erfaßt hat, nie auf einem der weißen Pferde dahingejagt ist oder mit einem Boot in die von Vogelstimmen aufgeladene Stille der Etangs hineingeglitten ist, für den wird es schwer sein, die Camargue zu begreifen, sie erklärt zu bekommen, ohne mit seiner Phantasie zu helfen.
    Zwar schiebt sich die Zivilisation auch hier langsam vor. Im Norden hat man große Reisfelder angelegt, Feriensiedlungen mit Reiterhotels entstehen, die Reichen aus dem Binnenland bauen sich jetzt hier ihre breitgelagerten Landhausvillen, und vielleicht wird auch einmal dieses selige Land vernichtet sein durch Teerstraßen und Touristenbusse, Betonburgen und sogenannte Erholungszentren, und es wird keine Flamingoschwärme mehr geben und keine Mandelkrähen, keine Röhrichtpfeifer und keine schwarzen Stierherden, und aus den weißen, kleinen, fast kubischen Hirtenhäusern, den Mas, werden sicherlich ›romantische‹ Feriensiedlungen werden mit Swimming-pools und ›Bars typiques‹ … und doch wird die Camargue weiterleben, irgendwo, in einem Zipfel am Phare de la Gacholle oder in einem Winkel der Inselgruppen an den Etangs von Beaudure und Vaisseau … oder vielleicht auch da, wohin Pierre und Ev mit ihrem alten Auto ›Mes Rues‹ fuhren: Weg von den Straßen, über eine sandige Piste zu einem winzigen aus sieben Häusern bestehenden Ort, der sich ›Le Paradis‹ nennt.
    Le Paradis … nicht nur ein Name, sondern ein Glaube. Wer von hier über die Camargue blickt, unterhält sich mit Gott und der Schöpfung und weiß, wie klein er ist, dieser so wichtige, alles beherrschende, alles zu wissen glaubende Mensch.
    Pierre und Ev fanden ein Quartier bei einem alten Fischer, der seinen Beruf aufgegeben hatte und davon lebte, sein

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