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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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keiner mich wollte, mich, den Bastard. Mit fünf Jahren riß ich dort aus und wurde Gehilfe eines Clochards. Wir zogen kreuz und quer durch Frankreich und lebten nicht schlecht. Ich malte damals schon, er verkaufte die Bildchen, und an kirchlichen Festen spielten wir unsere Glanznummer: Vater blind, der Sohn Epileptiker. Dann starb Jean-Claude – so hieß mein Clochard – an einer Fischgräte, die sich in seiner Speiseröhre verklemmt hatte. Ich war damals vierzehn, konnte weder lesen noch schreiben, aber ich hatte gehört, daß man, wenn man eine Gräte im Hals stecken hat, den Hals aufschneiden muß, damit Luft in die Lungen kommt. Ich habe Jean-Claude mit einem Taschenmesser in den Hals gestochen … zu spät, wie man mir sagte, aber im Prinzip richtig.«
    Pierre lehnte sich gegen die hohe Sofalehne. Ein Sofa mit Plüschbezug. Doktor Rombard schwieg und faltete nur die Hände. Er betrachtete Pierre, wie ein Sammler einen gerade aufgespießten großen Schmetterling bewundert.
    »Ich kam dann in eine Schule, lernte schnell alles nach, riß wieder aus und – gewöhnt an einen Freund, der mit mir durch Frankreich zieht – nahm ich einen Hund mit, der genau so einsam war wie ich. Einen schönen Hund. Einen Setter, den ich ›Mylord‹ nannte. Mylord lernte, auf den Hinterbeinen tanzen und auf zwei Beinen zu humpeln. Er war überhaupt ein gelehriger Hund. Unser erfolgreichster Trick war, daß Mylord bei den Frauen unter die Röcke schnupperte und dann wie ohnmächtig umfiel. Das gab immer ein Hallo, und die Männer warfen uns die Francs zu, wie einer Primadonna Rosen. Mylord schlief an meiner Seite, Mylord tat alles für mich. Er starb auch für mich … als ein Besoffener mit einem Motorrad über die Straße brauste, riß er mich weg und kam selbst unter die Räder. Aber Mylord ging nur als Körper von mir … in Wahrheit blieb er immer bei mir … bis heute.«
    Doktor Rombard sah Pierre stumm an und schob nur die Unterlippe vor. Nur in seinen blauen Augen konnte Pierre lesen: Das ist nicht möglich! Und doch ist es möglich. Die Medizin kennt da genug Fälle –
    »Ich ahnte nichts«, sagte Pierre ruhig, »bis ich sechsundzwanzig Jahre alt war, in Paris wohnte und die Sturheit pflegte, mich als Maler durchsetzen zu wollen. Da stellten sich die ersten Leberschmerzen ein, ich wurde gelb im Gesicht, und jeder sagte: ›Na klar, der Kerl säuft sich tot!‹ Aber ich hatte gar kein Geld, um zu saufen. Nach dem vierten Anfall ging ich zum Arzt … zur Armenambulanz, kostenlos, wurde geröntgt und untersucht, mein Blut wurde analysiert, und dann kam ein freundlicher Arzt zu mir, sah mich groß an und sagte ehrlich: ›Mein Bester, es sieht mies aus. Sie haben einen Hundewurm. Keinen Bandwurm, sondern einen Wurm in der Leber.‹ Er nannte dann auch den lateinischen Namen, aber ich dachte nur an ›Mylord‹ und daran, daß er mir immer ein Freund gewesen war, mir das Leben gerettet hatte und mich nun doch noch umbrachte. ›Haben Sie einen Hund gehabt?‹, fragte der Arzt. Und dann: ›Hat er Ihnen – wie man so harmlos sagt – Küßchen gegeben?‹ Und als ich antwortete: ›Küßchengeben gehörte zu unserer Nummer‹, sagte der Arzt in Paris: ›Dann dürfen Sie sich als abgestürzter Artist betrachten. An dieser 'Nummer' sind Sie zugrunde gegangen.‹ – Ein ehrlicher Arzt, ich bin ihm wirklich dankbar.« Pierre holte tief Luft. Die Taubheit in den Gliedmaßen verflüchtigte sich wieder.
    »Ich habe dann ein halbes Jahr versucht, den Wurm von ›Mylord‹ mit allen Mitteln abzutöten, die es nur gab. Umsonst. ›Mylord‹ saß tief in mir … und jetzt frißt er mir seit zwei Jahren Stück für Stück die Leber auf! Ich habe kapituliert. Es gibt keine Heilung mehr. Nur noch den Wucher mit der Zeit.« Er beugte sich vor und sah Doktor Rombard groß an. »Doktor … wie lange habe ich noch?«
    »Etwa zwei Monate, wenn Sie mit Ihren Kräften weiter Raubbau treiben. Ein Jahr, wenn Sie vernünftig leben.« Doktor Rombard drückte die gefalteten Hände enger zusammen. »Sie sehen, es gibt nicht nur in Paris ehrliche Ärzte …«
    »Ich danke Ihnen, Doktor.« Pierre erhob sich etwas mühsam. Die Schwäche lag noch bleiern in ihm. »Ich verstehe: Ein Jahr, wenn ich wie ein Greis lebe, vielleicht in einer Klinik, angeschlossen an Schläuchen. Aber ich bin jung … ich möchte lieber zwei Monate wie ein freier Adler leben und dann abstürzen! Verstehen Sie das?«
    »In meinem Alter nicht mehr.« Doktor Rombard entfaltete

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